Jetzt streiten sich zwei Linke
Analyse: Warum die Faeser-Kandidatur ein Geschenk für die Hessen-CDU ist
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03.02.2023 / HESSEN -
Oho, welch Überraschung. Nancy Faeser ist Spitzenkandidatin der Hessen-SPD für die anstehende Landtagswahl im kommenden Herbst. Heißt: Unsere Bundesinnenministerin will Hessens CDU-Ministerpräsidenten Boris Rhein beerben und erste Landesmutter in der Geschichte unseres schönen Bundeslandes werden. Problem nur: Die Hessen-SPD könnte sich verzockt haben, Faeser wird große Schwierigkeiten haben, Hessens neue Ministerpräsidentin zu werden. Ein Erklärungsversuch in sieben Punkten.
Der Wähler straft Zögerlichkeit.
Die SPD hat mit Abstand als letzte Partei in Hessen ihre Spitzen-Kandidatin für die kommende Landtagswahl am 8. Oktober 2023 bekanntgegeben – weit nach CDU und Grünen. Diese Zögerlichkeit widerspricht dem Wunsch der Bürger nach Klarheit.
In der Krise wollen die Menschen Konstanz.
Nimmt man realistischerweise an, dass AfD, Linke und FDP bei der Hessen-Wahl keine realistische Chance haben, einen Ministerpräsidenten bzw. eine Ministerpräsidentin zu stellen, bleiben drei Parteien: SPD, Grüne, CDU. Zwar koalieren CDU und Grüne seit Jahren überraschend geräuschlos und erfolgreich zusammen, doch es gilt weiterhin: SPD und Grüne stehen links der Mitte, die CDU rechts der Mitte. Heißt vereinfacht gesprochen: SPD und Grüne teilen sich die Wähler aus einem Lager gemeinsam mit den Linken auf, die CDU hat eher Überschneidungen bei den Wählergruppen mit FDP und AfD. Stimmen tatsächlich aufgrund der bekannten SPD-Spitzenkandidatin einige unentschlossene Wähler für die Sozialdemokraten, geht die Stimme wahrscheinlicher den Grünen verloren als der CDU. Während sich Faeser und Al-Wazir um die gleiche Wählerklientel streiten, muss Rhein "nur" zusehen, dass er bürgerliche Wähler mobilisiert und mit einer glaubhaften konservativen Politik enttäuschte (Ex-)CDU-Wähler (wieder)gewinnt und sie von der AfD fernhält.
Der Bund-Land-Konflikt.
Faeser hat angekündigt, weiter Bundesinnenministerin bleiben zu wollen. Sowohl das Amt der Bundesinnenministerin als auch der Wahlkampf als Spitzenkandidatin einer Landtagswahl sind absolute Vollzeit-Jobs. Widmet sich Faeser also dem Hessen-Wahlkampf, bleiben wichtige innenpolitische Themen auf der Strecke. Füllt sie das Amt der Innenministerin auf Bundesebene bestmöglich aus, vernachlässigt sie zwangsläufig Hessen, die hessische SPD und alle Hessinnen und Hessen. Im Wahlkampf ein gefundenes Fressen für die anderen Parteien.
Wenn Faeser am Ende neue Ministerpräsidentin werden sollte, hat sie auf die richtige Karte gesetzt. Dann braucht sie ihr Amt als Innenministerin nicht mehr. Doch es ist ein riskantes Spiel. Was ist, wenn sie nicht Ministerpräsidentin wird? Dann will sie – Stand jetzt – weiterhin Bundesinnenministerin bleiben. Kaum ein Ministerium in einer Regierung ist so mit symbolischer Stärke verbunden wie das Innenministerium. Faeser, die als Mensch sehr beliebt und angenehm im Umgang ist, gilt ohnehin schon nicht als "Haudrauf" wie Ex-SPD-Bundesinnenminister Otto Schily, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) oder NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Eine Landtagswahlkampf in einem Land zu verlieren, welches für spannende Wahlen bekannt ist, ist keine Schande. Dennoch hinterlässt eine solche Niederlage Spuren. Ein gefundenes Fressen für Kritik von Seiten der Bundes-CDU und der Ampel-Koalitionspartner FDP und Grüne. Ein Rücktritt als Bundesinnenministerin für Faeser am Ende kaum zu vermeiden.
Das Migrations-Dilemma.
Kaum ein Thema ist so heiß wie das Migrations-Thema. Es ist emotional aufgeladen, fast jeder Bürger hat eine Meinung dazu und komplex ist es obendrein. Als Bundesinnenministerin und zudem auch oberste Chefin der Bundespolizei muss man sich zwangsläufig intensiv mit dem Thema Migration auseinandersetzen und Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungen hinterlassen aufgrund ihrer Komplexität und Emotionalität so gut wie immer verbrannte Erde – auf der einen oder anderen Seite. Als Sozialdemokrat ist das besonders heikel, die eigene Wählerschaft ist sensibler und zwiegespaltener in Fragen der Migration als die der konservativen CDU. Zudem trauen weite Teile der Bevölkerung der Union viel eher zu, Themen der inneren Sicherheit im Allgemeinen zu besetzen als der SPD. Und dann ist CDU-Kandidat Boris Rhein auch noch als Ex-Innenminister Hessens im Thema, muss zugleich aber aktuell nicht so viele (unangenehme) Entscheidungen im Bereich der inneren Sicherheit treffen wie Faeser als amtierende Bundesinnenministerin.
Neutralitäts-Bonus.
Fazit: Faeser als Spitzenkandidatin in das Rennen zu schicken hilft weder der SPD, noch Nancy Faeser selbst. Der eigentliche Profiteur ist Boris Rhein mit seiner Hessen-CDU. Am Ende könnte ihm das Faeser-Dilemma trotz seiner fehlenden Bekanntheit weiterhin den Posten des Hessischen Ministerpräsidenten sichern. Dafür braucht er nicht mal sonderlich viele Themen zu besetzen. Er kann es machen wie einst Olaf Scholz. Der SPD-Hanseat wurde nicht Kanzler, weil er im Bundestags-Wahlkampf 2021 so brilliert hat. Scholz wurde Kanzler, weil CDU und Grüne mit internen Machtkämpfen beschäftigt waren und die Spitzenkandidaten Laschet und Baerbock einen peinlichen (wie vermeidbaren Fehler) nach dem anderen gemacht haben. (Christian P. Stadtfeld / Tobias Bayer) +++
Dieser Artikel ist ein Gemeinschaftsprojekt von OSTHESSEN|NEWS und KINZIG.NEWS.
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