Gastkommentar von Ralf Kleemann

60. Jahrestag des Elysée-Vertrags: Freundschaft zum Nachbarn pflegen

DAS Symbol für Frankreich: Der Arc de Triomphe de l’Étoile oder kurz Arc de Triomphe.
Foto: Christopher Göbel

22.01.2023 / REGION - Wenn am heutigen 22. Januar der 60. Jahrestag des Elysée-Vertrags, des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags, begangen wird, dann wird damit einem der wichtigsten Meilensteine in der Geschichte Deutschlands gedacht. Und die Bedeutung dieses Papiers kann nicht hoch genug geschätzt werden, denn mit dem Ereignis vom Januar 1963 wurde das düsterste Kapitel im deutsch-französischen Verhältnis beendet.



Nach den blutigen Kriegen von 1870/71 und 1914-1918 sowie der demütigenden deutschen Besatzung Frankreichs von 1940 bis 1945 sprachen die Nachbarn voneinander gemeinhin als "Erbfeinde." Die von den großen Staatsmännern Charles de Gaulle und Konrad Adenauer vorangetriebene Aussöhnung beendete diese Feindschaft und war zukunftsweisend. Das deutsch-französische Verhältnis war und ist Garant und Stabilisator des geeinten Europas und gilt als vorbildhaft für die Beziehungen vieler Länder – ungeachtet diverser Irritationen und Reibereien, die im Laufe einer 60-jährigen Beziehung zwangsläufig   auftreten, das große Ganze aber nicht ins Wanken bringen dürfen.

Das sollten auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bedenken, denn ihr aktuelles Verhältnis ist mehr als nur angespannt – nicht nur in Bezug ihrer Positionen in der Ukraine-Krise. Indiz für die zerrüttete Beziehung: Im Gegensatz zu vergangenen Jahren wird um den runden Geburtstag diesmal kein großes Aufheben gemacht.

Dabei war der versöhnliche Handschlag der ehemaligen Kriegsgegner de Gaulle und Adenauer der Auftakt enger bis freundschaftlicher Verhältnisse deutscher Kanzler und französischer Präsidenten, auch über die Gräben unterschiedlicher politischer Lager hinweg. Der Bürgerliche Valéry Giscard d’ Estaing verstand sich blendend mit seinem sozialdemokratischen Gegenüber Helmut Schmidt, Unionskanzler Helmut Kohl und der Sozialist François Mitterand schrieben Geschichte, als sie sich im September 1984 auf den Schlachtfeldern von Verdun minutenlang mit Tränen in den Augen die Hand hielten.

Auch der Konservative Jacques Chirac arbeitete freundschaftlich mit SPD-Mann Gerhard Schröder zusammen. Angela Merkel traf während ihrer Amtszeit auf drei französische Staatoberhäupter (Sarkozy, Hollande und Macron) und kam mit allen gut aus, wobei die Ex-Kanzlerin keine war, die sich mit Küsschen und Umarmungen hervortat. In der europäischen Sache waren sie sich immer einig.

Bedeutung des Schüleraustauschs

Viel wichtiger aber als die Begegnungen auf politischer Ebene sind jene Treffen, die abseits der großen medialen Öffentlichkeit stattfinden. Schüleraustausche zwischen deutschen und französischen Jugendlichen sind im Programm vieler Schulen verankert. Dies ist nicht zuletzt das Verdienst einer Institution, die wenige Wochen nach der Vertragsunterzeichnung im Elysée-Palast ihre Arbeit aufnahm: Im Juni kann das deutsch-französische Jugendwerk ebenfalls auf das 60jährige Bestehen zurückblicken.

Daneben unterhalten viele deutsche Städte und Gemeinden seit Jahren Städtepartnerschaften nach Frankreich. Die Beziehungen hierzulande zwischen Fulda und Arles, Hünfeld und Landerneau, Gersfeld und Bellegarde sowie Petersberg und Billère haben zu Begegnungen auf allen Ebenen geführt, es sind sogar deutsch-französische Familien daraus hervor gegangen. Auch wenn die Organisation und Durchführung von Besuchen und Gegenbesuchen mit Aufwand und Kosten verbunden sind – jede Austauschfahrt zählt zu den absoluten Höhepunkten, an die man sich noch Jahrzehnte später gerne erinnert.

Unvergessen ist für mich die spontane Bemerkung eines Franzosen, als er deutsche und französische Schüler am Collège von Billère in der Region Nouvelle Aquitaine eine gemeinsame Projektarbeit präsentieren sah: "Hätten sich die Jugendlichen unserer beiden Länder schon viel früher so getroffen, dann wäre nicht nur meiner Familie viel Leid erspart worden. Bitte macht weiter so," sagte er mit tränenerstickter Stimme.

Dieses Bekenntnis macht deutlich, dass freundschaftliche und partnerschaftliche Beziehungen zu Frankreich und allen unseren europäischen Nachbarn ein wichtiger Bestandteil zur Wahrung des Friedens sind. Wie fragil das Gebilde ist, wurde vor elf Monaten am 24. Februar 2022 mit dem Überfalls Russlands auf die Ukraine auf brutale Art und Weise deutlich. Bis dahin war ein Krieg innerhalb Europas 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges für die meisten von uns doch nicht mehr vorstellbar.

Gerade mit der Erkenntnis, dass Frieden und Freundschaft zu den Staaten Europas ein hohes, aber auch zerbrechliches Gut sind, dürfen wir nicht aufhören, diese zu pflegen, zu erhalten und noch auszubauen.

Ein intaktes Verhältnis zu unserem Nachbarn Frankreich ist die Grundlage dafür. Und deswegen denken wir heute und auch in den kommenden Wochen zu Recht daran, was zwei große Staatsmänner vor 60 Jahren mit ihrer Unterschrift begonnen hatten. "Vive l’amitié franco-allemande – es lebe die deutsch-französische Freundschaft!" (Ralf Kleemann) +++

Zur Person

Ralf Kleemann (65) war Konrektor und Französischlehrer an der Konrad-Adenauer-Schule Petersberg. Dort hat er seit 2007 einen wechselseitigen Schüleraustausch mit einer Mittelschule in Petersbergs Partnergemeinde Billère (Département Pyrénées Atlantiques) installiert. Er ist Vorsitzender des Vereins für Städtepartnerschaften in Petersberg, Vorstandsmitglied im Freundschaftsverein St. Bonifatius Fulda-Dokkum und Mitglied im Freundeskreis Fulda-Arles. Seit einer ersten Austauschbegegnung in Frankreich 1973 unterhält er freundschaftliche Kontakte nach Frankreich und ist der Auffassung, dass regelmäßige Besuche auf allen Ebenen und zu unterschiedlichen Anlässen gerade in der heutigen Zeit wichtiger denn je sind.

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