Freiwilliges Tempolimit?
Mitarbeiter der evangelischen Kirche sollen nicht mehr rasen
Fotos: ON-Archiv / Christopher Göbel / Jonas Wenzel / Privat
13.11.2022 / REGION -
Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat am Mittwoch in Magdeburg beschlossen, sich für ein Tempolimit auf deutschen Straßen einzusetzen. Nach kontroverser Debatte der Synodalen ist verabschiedet worden, eine Höchstgeschwindigkeit von 120 Stundenkilometern auf allen Straßen, auf denen derzeit keine andere Begrenzung gilt, zu fordern. Kirchliche Mitarbeiter sollen aber jetzt schon "freiwillig" gedrosselt werden.
So will die EKD, dass alle kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei "Fahrten im dienstlichen Kontext" maximal 80 km/h auf Bundes- und Landstraßen sowie maximal 100 km/h auf Autobahnen fahren sollen. Die Kirche könnte "zu sehr mit einem moralischen Ton auftreten", warnte die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus in Magdeburg. Die evangelische Kirche solle die Selbstverpflichtung für Dienstfahrten betonen und beim allgemeinen Tempolimit auf die politischen Bemühungen verweisen. Dem schlossen sich unter anderem der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung (Vogelsberg) sowie weitere leitende Geistliche an.
Ursprünglich hatte der Antrag des Synodalen Frank Schürer-Behrmann aus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ein allgemeines Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und 80 km/h auf allen anderen Straßen gefordert. Dieser Antrag fand allerdings keine Mehrheit der EKD-Synodalen.
Meinungen aus der Region
O|N hat bei Vertretern der evangelischen Kirche nachgefragt, wie sie den Ratsbeschluss einordnen. Antworten gaben unter anderem die EKKW-Bischöfin Dr. Beate Hofmann, Sabine Kropf-Brandau, die Pröpstin des Sprengels Hanau-Hersfeld, und der Fuldaer Dekan Bengt Seeberg."Vielleicht auch mal entschleunigen"
"Manchmal verstehe ich meine Kirche nicht mehr"
"Ein wirksames Signal"
"Weltfremder Beschluss"
"Dem Volk aufs Maul schauen"
"So ein Beschluss erinnert mich frappierend an die Pharisäer im Neuen Testament. Die haben mit Jesus immer wieder Probleme gehabt", sagt Werner Herbert, stellvertretender Kirchenvorstandsvorsitzender der Bad Hersfelder Martinskirchengemeinde. "Durch solche Beschlüsse wird die Kirche von großen Teilen der Bevölkerung immer weniger ernst genommen. Bei 80 km/h auf Landstraßen wird die Kirche zum Verkehrshindernis. Dekan Frank Hofmann hat zum Reformationstag geschrieben: 'Luther war es wichtig, dem Volk aufs Maul zu schauen' - also zuhören, was den Menschen wichtig ist. Weshalb macht das die evangelische Kirche nicht mehr?", fragt Herbert.Zwischenruf von O|N-Redakteur Christopher Göbel
Die evangelische Kirche in Deutschland gilt eigentlich als liberal. Als Kirche, die sowohl ihren Mitgliedern als auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern keine strengen Lebensregeln vorgibt. Als Mitglied eines Kirchenvorstandes weiß ich aus der Coronapandemie, dass viele Entscheidungen bezüglich Maskenpflicht, Abstand oder Hygienemaßnahmen in den Kirchenvorständen alleine entschieden werden sollten. So gesehen gab die Kirchenleitung, in diesem Fall die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), den Gemeinden viel Entscheidungsfreiheit. Dies nur als Beispiel.Die EKD-Ratsvorsitzende sagte richtig: "Das geht nach hinten los. Dann sind wir wieder die, die als Moralisten dastehen." Ja, ich befürchte, dass sogar der abgeschwächte Beschluss nach hinten losgehen wird. Ich frage mich, wie es wohl sein würde, wenn die tausenden kirchlichen Mitarbeiter mit 80 Sachen über die Bundes- und Landstraßen gurken und sich dahinter lange Schlangen bilden, wenn die offiziell erlaubten 100 km/h möglich wären. Würde es die Umwelt wirklich entlasten? Würde es nicht möglicherweise manchen Atheisten (natürlich nicht nur diesen) dazu animieren, ein waghalsiges Überholmanöver zu starten und damit die Gefahr eines Unfalls zu erhöhen, statt sie zu verringern?
Der falsche Weg
Ich denke, dass dieser Beschluss der falsche Weg ist, um die Umwelt zu entlasten und das Klima zu retten. Es besteht auch die Gefahr, dass zu den bislang schon zahlreichen Kirchenaustritten weitere hinzukommen - von Menschen, die sich nicht auch noch im Privatleben gängeln lassen wollen. Das Auto ist noch immer des Deutschen liebstes Spielzeug - ein bisschen Freiheit im Land der Gesetze und Verordnungen. Wer im Auto sitzt, möchte selbst bestimmen - abgesehen von den gesetzlich vorgeschriebenen Verkehrsregeln natürlich.Klar ist, dass etwas für das Klima und die Umwelt getan werden muss. Aber das muss auf politischer Ebene geschehen und dann für alle Bürgerinnen und Bürger jeglicher Konfession oder Nicht-Konfession gelten. Es gibt sicherlich sinnvollere Maßnahmen, wie die Kirche Energie einsparen kann. Weniger heizen für Gottesdienste, denen am Sonntagmorgen zehn oder weniger Besucher beiwohnen - zum Beispiel. Und zuletzt: Wer soll überprüfen, ob jede Bischöfin, jeder Bischof, jede Sekretärin im Kirchenkreisamt und jeder über Land fahrende Pfarrer, der aufgrund schwindender Gläubiger mehrere Kirchen betreut, sich an das kirchlich vorgeschriebene Tempolimit hält? (Christopher Göbel) +++