Diskussion um Windkraftanlagen

Ist die Rhön bald kein "Land der offenen Fernen" mehr?

Noch gibt es freie Sicht ins "Land der offenen Fernen". Hier bei "Noahs Segel", einem touristischem Ausflugsziel im Herzen des Unesco-Biosphärenreservats nahe dem thüringischen Unterweid.
Foto: Regina Filler

14.11.2022 / REGION - In Zeichen von Energie- und Klimakrise gerät auch der Ausbau von Windkraftanlagen verstärkt in den Fokus der Überlegungen. Dabei gibt es in unserem Nachbarbundesland Thüringen aktuell heftige Diskussionen über eine neue Verordnung zum Unesco-Biosphärenreservat Rhön. Diese weist nach Ansicht des "Rhönforums" gravierende Mängel auf. Besonders dem Bau von Windkraftanlagen in der Schutzzone wird eine klare Absage erteilt. Der Verein "Rhönforum" ist der Dachverband für den Thüringer Teil der Rhön und sieht sich als Partner der Landkreise, Kommunen, Vereine, Unternehmen, der Tourismuswirtschaft und regionaler Akteure. Vorsitzender ist der CDU-Landtagsabgeordnete Martin Henkel, früher Bürgermeister von Geisa.



Gerade die Problematik Windkraft im Biosphärenreservat beschäftigt Henkel sehr, der in der vergangenen  Woche eine Mündliche Anfrage beim derzeit laufenden Plenum im Thüringer Landtag eingebracht hatte:

1. Welche Auswirkungen für das Biosphärenreservat Rhön werden durch die geplante Aufhebung des Bauverbots von Windkraftanlagen im Reservat erwartet, zum Beispiel mit Blick auf den Erhaltungszustand streng geschützter und vom Aussterben bedrohter Arten?

2. Wie wird das Risiko eingeschätzt, dass der Freistaat Thüringen durch die geplante Änderung der Thüringer Verordnung über das Biosphärenreservat Rhön im Falle einer Prüfung durch die EU Fördermittel zum Beispiel für den Artenschutz zurückzahlen muss?

3. Wie wird die Möglichkeit der Aberkennung von Titeln wie "Biosphärenreservat", "Sternenpark" oder "Europäisches Kulturerbe" durch die Öffnung des Reservats für Windkraftanlagen eingeschätzt?

4. Wie werden mögliche Einbußen der Tourismusbranche beurteilt sowie daraus abzuleitende Haftungsansprüche gegenüber dem Land, die durch die Öffnung des Biosphärenreservats für Windkraftanlagen verursacht werden?

Wie Henkel gegenüber OSTHESSEN NEWS am Freitagvormittag auf Anfrage sagte, sei er während seiner 13-jährigen Tätigkeit als Geisaer Bürgermeister immer wieder mit der Thematik "Windkraft im Biosphärenreservat" konfrontiert worden. Man dürfe nicht verkennen, dass das Prädikat "Biosphärenreservat" auch verschiedene Einschränkungen bedeute. Nun gebe es zwei Möglichkeiten: Entweder weiterhin keine Windkraft oder aber der Verlust des Prädikates "Biosphärenreservat". Entscheidend sei auch die Frage, wer überhaupt berechtigt zur Klage sei. Für ihn, so Henkel, stehe jedenfalls fest, dass er juristisch dagegen vorgehen werde.
   
In einer Stellungnahme des Vereins "Rhönforum" heißt es unter anderem: "Gerade der Schutz des Landschaftsbildes des ,Landes der offenen Fernen' und der Artenschutz sind und waren die wesentlichen Begründungen bei der Ausweisung des Biosphärenreservates Rhön. Die teilweise erheblichen Einschnitte in das Eigentum von Bürgern und in die Entwicklung der Städte und Gemeinden in dieser Region finden ihre Begründung und Rechtfertigung in diesem Schutzziel. Der Bau von industriellen Großanlagen/Windkraftanlagen im Biosphärenreservat Rhön würde gerade diese ursprünglichen Schutzziele ins Absurde führen und damit die weitere Berechtigung für anderweitige Einschränkungen aufheben. In der Konsequenz würde das Biosphärenreservat Rhön seine Daseinsberechtigung verlieren".

Mehr als ein Werbeslogan

Die Bezeichnung der Rhön als "Land der offenen Fernen" sei mehr als ein Werbeslogan, sondern Zustandsbeschreibung und Auftrag zugleich. Er sei einer der zentralen Begriffe, die überhaupt erst zur Ausweisung und Rechtfertigung des Biosphärenreservats Rhön geführt haben. "Dass dieser Begriff und dieses wesentliche Schutzgut in dem Entwurf der neuen Verordnung, im Gegensatz zur aktuell gültigen Verordnung, überhaupt nicht mehr auftaucht, weckt die schlimme Vermutung, dass die Redakteure der neuen Verordnung das ,Land der offenen Fernen' gegen einen Windpark ersetzen wollen".

Gerade die offenen Flächen, die letztlich Standort eben jener Anlagen wären, seien prägend und identitätsstiftend für die Kulturlandschaft und stünden unter einem besonderen Schutzbedarf. Die Charakteristik der Rhön als das "Land der offenen Fernen" würde durch die Errichtung von Windkraftanlagen verloren gehen.

In der Rhön noch vorkommende, aber vom Aussterben bedrohte Vogelarten wie Rotmilan, Schwarzmilan, Uhu, Schwarzstorch, Wanderfalke, Wachtelkönig, Eisvogel, Heidelerche, Goldregenpfeifer, Grauspecht, Schwarzspecht, Dohle und Schleiereule, die auch im Bundesnaturschutzgesetz explizit Beachtung finden, und auch die besonders geschützten Fledermausarten Großes Mausohr, Mopsfledermaus und Bechsteinfledermaus würden durch die Errichtung von Windkraftanlagen in ihrem Bestand gefährdet.  Aber auch für hier nicht heimische Vogelarten wie zum Beispiel den Kranichen habe das Biosphärenreservat existentielle Bedeutung, da es einer der letzten von Windkraftanlagen unverbauten Landschaften auf ihrem Zug darstelle und als Ruhe- und Übernachtungsplatz zwingend benötigt werde.

"Die Öffnung des Gebiets für den Bau von Windkraftanlagen würde die bisherigen Schutzbemühungen, die sich unter anderem auch in der Ausgabe von Mitteln der Länder, des Bundes und der EU für den Erhalt der im Reservat vorkommenden Mopsfledermaus oder dem länderübergreifenden Rotmilanprojekt zeigen, konterkarieren und eine ernstzunehmende Bedrohung der Bestände mit sich bringen".

Hintergrund

Ende der 1980er-Jahre hatten in der damaligen DDR Naturschützer  den Anstoß zum späteren Biosphärenreservat Rhön gegeben. Zahlreiche wertvolle Naturräume wurden unter Schutz gestellt und damit gesichert, darunter die Thüringische Rhön als Landschaftsschutzgebiet. Mit der Verabschiedung des Nationalparkprogramms wurde der Thüringer Teil am 12. September 1990 in der letzten Volkskammersitzung zum Biosphärenreservat Rhön erklärt. 

Bereits im Winter 1990/91, also unmittelbar nach der friedlichen Revolution und Wiedervereinigung, stellten die drei Länder Hessen, Thüringen und Bayern dann separate Anträge auf Anerkennung als UNESCO-Biosphärenreservat. Der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer machte daraus einen gemeinsamen Antrag. Mit Erfolg: Am 6. März 1991 wurde die Drei-Länder-Rhön von der UNESCO zum Biosphärenreservat geadelt. (Bertram Lenz) +++

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