Zur Dernière von "Robin Hood"

Schöner als im Fuldaer Sherwood Forest ist es nirgends

Vorfreude auf 2023.
Fotos: Peter Scholz

17.10.2022 / FULDA - Am Sonntag schlug die Stunde des Abschieds – Robin Hood und seine Mannen ziehen sich nach 177 Vorstellungen in den Sherwood Forest zurück, aus dem sie im nächsten Jahr aber wieder hervorkommen. Hier ein Rückblick auf das Stück – und ein Gespräch mit einem rundum zufriedenen Peter Scholz, Geschäftsführer von Spotlight.

Ein Musical wie Game of Thrones


"Robin Hood" ist das erste Spotlight-Musical, bei dem ein Weltstar mitgearbeitet hat. Chris de Burgh ist es zu verdanken, dass es im Sherwood Forest manchmal ganz schön irisch klingt. "Robin Hood" hat mehr mit "Game of Thrones" als mit klassischen Musicals zu tun. Die Geschichte ist weder märchenhaft noch romantisch, sondern ziemlich düster. Die Legende um Robin Hood bildet die Basis, tatsächlich aber geht es um Sinn- und Gesellschaftskrisen, um das Aufbegehren gegen die Macht und um Emanzipation. Wir sind mittendrin im Freiheitskampf eines Volkes.

Im Sommer 2022 evoziert "Robin Hood" andere Bilder, als das vor zwei Jahren der Fall gewesen wäre. Denn die Gegenwart drängt sich mit Macht in die Geschichte. Der Heilige Krieg im Heiligen Land hat große Ähnlichkeit mit Putins Angriffskrieg in der Ukraine. In beiden Kriegen geschehen monströse Verbrechen, in beiden tragen Frauen und Kinder die Hauptlast. Die geschändeten und ermordeten "Ungläubigen" sind Verwandte der Toten aus Butscha. König John in seinem in Gold gehüllten Größenwahn könnte auch im Kreml herrschen.

Lauter gebrochene Charaktere

Alle männlichen Hauptfiguren sind geborstene Charaktere – entweder skrupellos, machtgeil, tyrannisch, von Eifersucht zerfressen oder seelisch tief verwundet. Fast alle hassen und missbrauchen Frauen. Das Musical breitet ein wahres Panoptikum toxischer Männlichkeit vor uns aus. Auch die Titelrolle ist davon nicht ausgenommen. Robin verzweifelt an dem ihm vom Vater zugedachten Lebensentwurf. Was er stattdessen tun könnte, weiß er lange nicht – die Suche nach sich selbst ist lang und schmerzhaft.

In starkem Kontrast und seltsamer Unberührtheit steht Marian all dem männlichen Wahnsinn gegenüber. Sie lässt sich von Macht und Geld nicht korrumpieren und sieht als einzige Hauptfigur ihren Weg von Anfang an klar vor Augen. Als Robin in "Woran kann ich noch glauben" seine Zerrissenheit vor ihr ausbreitet, hält sie ihm Weinerlichkeit und Selbstmitleid vor. Erst durch sie findet Robin zu seiner Bestimmung, und mit ihm wird uns allen klar: Nicht King John hat die Neue Zeit ausgerufen, das tun die Männer und Frauen im Sherwood Forrest mit ihrem Kampfruf "Freiheit für Nottingham".

Standing Ovations und wahre Beifallsstürme

Das Bühnenbild ist fast schon abstrakt, Kostüme und Props sind maximal reduziert und flexibel einsetzbar. Auf verschiebbare Wände und eine hochstellbare Schräge aus Metall werden Bilder von Sherwood Forest bis Heiliger Krieg projiziert. Intensiv düstere Farben und Lichteffekte verstärkten die Wirkung – alles ist auf die Handlung und die Musik fokussiert.

Dennis Martin und Chris de Burgh haben sich selbst übertroffen: Viele Songs gehen direkt ins Ohr, die Musik ist vielschichtig – mal wild und rau ("Ich flieh‘ in den Krieg"), mal verlogen ("Für Gott und den König" und "Wie ein guter Vater"), oft intensiv ("Was für ein Mann bist du?"), dann wieder von tiefer Zärtlichkeit ("Ich weiß nicht, wer Du bist") und zwischendurch ausgelassen und saukomisch ("Wir ha’m die Kohle und der König nicht"). Die Botschaft des Musicals passt gut in diese Zeit: Freiheit gibt es nicht zum Nulltarif, man muss sie erkämpfen, immer wieder neu. Das Publikum der Dernière feierte das Ensemble mit Standing Ovations und wahren Beifallsstürmen.

Peter Scholz im Interview

O|N: Lieber Peter Scholz, Du hast heute vom Wir-Gefühl gesprochen. War das anders als bei bisherigen Spotlight-Produktionen?

Peter Scholz: "Wir sind in diesem Sommer in einer prekären Situation gestartet, im Mai gab es eine Corona-Hochphase, im Juni dann eine Welle unter den Darstellern. Wir wussten nicht, wie und ob es weitergehen würde. Das hat uns noch mehr zusammengeschweißt."

O|N: Du wolltest vom Dernièren-Publikum wissen, wer das Stück mehr als einmal gesehen hatte. Das sah nach deutlich über 50% aus – eine irre Zahl!

PS: "Ja! Neben mir saß eine Dame, die war zum 10. Mal da. Daneben ein Herr, der war zum ersten Mal da. Hinter mir eine Dame zum 17. Mal, und eine vor mir zum 35. Mal. Und dann dreht sich eine Dame um und sagt: ‚Meine Freundin ist heute im Krankenhaus, die wäre zum 55. Mal da gewesen.‘ Ich habe nur gedacht – meine Güte! Es ist gut, dass wir immer wieder auch ein neues Publikum erreichen, aber es kommen wirklich viele Leute, weil sie so begeistert sind."

O|N: Wisst ihr, wie viele der knapp 120.000 Besucher nicht aus Fulda oder dem Landkreis Fulda kommen?

PS: "Die Erhebungen machen wir schon immer, knapp 90% der Besucher kommen von außerhalb. Die kommen mit so viel Freude nach Fulda, da entsteht etwas. Es ist eine tiefe Verbundenheit."

O|N: Ist das nicht typisch Spotlight – ihr seid doch als Fuldaer Jungs gestartet? Das Wir-Gefühl war diesmal allerdings besonders greifbar.

PS: "Wir sind immer noch Fuldaer Jungs. Das Wir wird in der Welt, in der wir leben, immer wichtiger. Alles wird unsicherer, dann schätzt man mehr, mit welchen Menschen man etwas erreichen kann und wo man zu Hause ist. Die Darsteller und Mitarbeiter sehen, dass sie in Fulda immer gut aufgehoben sind, die Zuschauer sehen, die Vorstellungen sind liebevoll gemacht und der Preis ist fair. Das ist noch ein bisschen heile Welt."

O|N: Ich habe das Musical nun dreimal gesehen, mit jedem Mal hört man sich mehr rein und nimmt die Feinheiten besser wahr. Mir scheint, "Robin Hood" ist politischer als die meisten Musicals.

PS: "Auf jeden Fall. Auch wenn viele Stücke die Botschaft von Freiheit und Eigenständigkeit haben. Mit dem Titel ‚Freiheit für Nottingham‘ und dieser allgemeingültigen Figur, in die man sich schnell empathisch hineinversetzen kann, verstehen das alle sofort."

ON: Individuelle Freiheit ist oft ein Thema. "Robin Hood" aber redet von der Magna Charta und einer neuen Gesellschaftsform, macht klar, dass man für Freiheit immer wieder kämpfen muss. Und es werden Dinge gezeigt, die man nicht erwartet – Krieg, geborstene Männer usw.

PS: "Ja, wir zeigen die Folgen von Krieg, wir zeigen Robin Hood als gebrochenen Mann, das ist hoch spannend. Mir wurde immer klarer, dass die Männer ganz schön doof sind. Wenn ich mich umschaue in der Weltgeschichte, sehe ich alte, verbitterte Männer, die eine Scheißkindheit hatten. Ich weiß nicht, was in der Ukraine passieren würde, wenn man die Frauen darüber reden ließe, wie man das lösen könnte. Und hier haben wir Marian, die das von Anfang an im Griff hat. Das ist eine sehr moderne Adaption."

O|N: Geht es denn weiter mit Chris de Burgh?

PS: "Wir arbeiten gerade an der englischen Übersetzung des Stücks und haben auch schon einige Stücke aufgenommen. Das Problem beim Musical ist, dass man sehr, sehr viele Menschen braucht, um es auf die Bühne zu bringen. Wir sind sehr dankbar, dass wir in Fulda arbeiten dürfen – ohne die Unterstützung der Stadt, des Stadtmarketings und der Hotellerie vor Ort könnten wir das nicht auf die Beine stellen. Darum beneiden uns alle Städte in Deutschland, dass wir hier so zusammenstehen."

O|N: Und derart erfolgreich sind!

PS: "Die Zahlen, die wir hier erreichen, hatte niemand im Sommer in Deutschland. Wir sind die Nummer 1 – wir sind das erfolgreichste neue Musical in Deutschland 2022, wir haben die höchste Auslastung – und das in einer Stadt wie Fulda. Das ist eine Wahnsinnsleistung, zu der sehr viele Menschen beigetragen haben."

O|N: Die Atmosphäre heute war wunderbar gelöst, und doch hat man allen angemerkt, sie wollten nochmals alles, was sie haben, auf die Bühne bringen.

PS: "Mir ist erst die letzten Wochen richtig klar geworden, was hier eigentlich passiert, es geht um diese unglaubliche Energie, die von der Bühne kommt und die ankommt. Wenn man als Zuschauer zulässt, dass diese Energie überspringt, kann man sich kaum noch entziehen."

O|N: Heute hat sich niemand gewehrt! Und Rainer Brussmann hört tatsächlich auf? Das erfüllt viele mit Wehmut.

PS: "Er ist ja so was wie Ehren-Fuldaer! Und nun wird er nach 40 Bühnenjahren Rentner. Aber er wird weiter Regie, Talentförderung und Casting machen und seine ganze Erfahrung gewinnbringend einsetzen. Für ihn war es toll, mit so einem Höhepunkt und in seiner Lieblingsstadt abzutreten."

O|N: Lieber Peter Scholz, wir danken für dieses Gespräch. (Jutta Hamberger) +++

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