Der Stadtpfarrer bei O|N

Impulse von Stefan Buß: Die dünne Silberschicht

Der Stadtpfarrer bei O|N.
Archivfoto: O|N/Hendrik Urbin

19.10.2022 / FULDA - Von dem jüdischen Philosophen Martin Buber (1878 – 1965) stammt die folgende Geschichte. Ein wohlhabender Mann besuchte einen weisen Rabbi. Der Rabbi ging mit ihm zum Fenster und fragte ihn: "Was siehst du da draußen?" "Menschen", antwortete der Reiche. Darauf führte er ihn zu einem Spiegel. "Was siehst du nun?", fragte der Rabbi. "Ich sehe mich selbst", antwortete der Gefragte.



Da sprach der Rabbi: "Bedenke, das Fenster ist aus Glas und der Spiegel ist auch aus Glas. Was den Spiegel vom Glas unterscheidet, ist nur die dünne Silberschicht auf seiner Rückseite. Kaum also kommt etwas Silber hinzu, so hörst du auf andere Menschen zu sehen und siehst nur noch die selbst." Ein wenig Silber, das dazu kommt. Ein wenig Geld, etwas mehr Ansehen und ein größerer Besitz kann einen Menschen, ohne dass es recht merkt, so verändern, dass er die Weite, ja die Freiheit seines Lebens verliert und nur noch auf sich selbst fixiert ist.

Besitz kann den Menschen tatsächlich besetzen oder gar besessen machen. Nicht der Besitzer irdischer Güter ist ja im Grunde das Übel, sondern die falsche Sicherheit, die Menschen darin suchen. Nicht nur deren Besitz, auch vieles andere kann zur Silberfolie werden, in der man nur noch sich selbst spiegelt. Jesus, der in den Evangelien und in der Heiligen Schrift uns begegnet, er spricht uns Menschen Heil und Leben zu. Darin liegt oft auch die Zumutung des Evangeliums. Nicht in unmenschlicher asketischer Kraftmeierei, sondern im bedingungslosen Vertrauen auf die Liebe Gottes. Das Vertrauen auf diese Menschenfreundlichkeit Gottes, dieser Glaube allein, hat auch damals den Aposteln die Freiheit geschenkt, zu besitzen, als besäßen sie nichts, zu verlassen als verließen sie nichts. Wie schwach muss das Vertrauen des Menschen auf diese Fürsorge der Liebe Gottes sein, wenn wir immer wieder als Menschen ängstlich besorgt an unseren Armseligkeiten hängen.

Wenn wir nicht loslassen, nicht hergeben können. Der Mensch muss wieder mehr von dieser Glaubenserfahrung leben, dass Gott den Menschen hält, aushält, ja gar trägt. Der Mensch kann loslassen, alles, was er besitzt und in der Freude darüber wird es ihm nicht schwerfallen aus dieser Fülle, aus diesem Reichtum andere weiter zu schenken. (Stefan Buß)+++

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