Sichtbar werden und füreinander da sein
Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe aus Hessen: Suchttage in Nieder-Moos
Fotos: © T.Schlitt
09.08.2022 / FREIENSTEINAU -
Sie wollen sichtbar werden, in die Öffentlichkeit gehen, zeigen, dass es sie gibt und was sie tun: Die Menschen, die sich in den Selbsthilfegruppen der Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe organisieren, sprechen öffentlich über ihre Erfahrungen mit Sucht und sie zeigen, dass es lebenswert, schön und erfüllend ist, ohne Suchtmittel seinen Alltag und seine Freizeit zu gestalten. 24 Gruppen in 14 Freundeskreisen in Hessen und einem Teil des Westerwaldes gibt es – von Kassel bis Hanau, von Montabaur bis Fulda. Sie treffen sich in regelmäßigen Abständen zu einem Austausch, der allen Mitgliedern sehr wichtig ist. Nach den beiden Pandemiejahren war nun erstmals wieder ein mehrtägiges Treffen möglich; als "Suchttage" findet dieses in der Regel alle zwei Jahre statt, im Wechsel mit einem eintägigen Begegnungstreffen.
Es gab eine Kräuterwanderung, und die Möglichkeit, Holz zu bearbeiten. Ein Bastelangebot mit Windspielen und Scherenschnitten lockte viele Menschen, genauso wie das gemeinsame Fertigen eines Insektenhotels, an dem sich alle Freundeskreise mit kleinen Holzschildern verewigen konnten und das im Vulkanpark verbleibt. Auch die Regionen übergreifende Theatergruppe des Landesverbandes nutzte die Tage, um sich zu treffen und an einer neuen Aufführung zu arbeiten, die im kommenden Jahr u. a. auf Bundesebene präsentiert wird. Petra Wöckel von der Kasseler Gruppe ist hier federführend. Sie schreibt die Stücke, die natürlich mit Sucht zu tun haben: Um Konsequenzen und Bewältigung geht es, nicht immer vordergründig, doch stets werden Erfahrungen und Eindrücke in den Stücken verarbeitet.
Neues Selbstbewusstsein erlangen
"Fast alle diese Angebote können von Menschen aus den Freundeskreisen zur Verfügung gestellt werden", freut sich Thomas Steinhäuser, "wir haben viele Ressourcen und Talente bei uns und wir freuen uns, diese auch zu zeigen." Die Arbeit in den Workshops hat viele Facetten für die Suchtkranken und ihre Angehörigen, die sich ebenfalls hier organisieren. "Zum einen lernen die Menschen, was sie alles können und erlangen neues Selbstbewusstsein. Sie finden neue Hobbys, die sie mit in ihre Freizeit und ihren Alltag nehmen können", erklärt Ellen Weyer.Die Arbeit in den verschiedenen Workshops dient aber auch dazu, locker ins Gespräch zu kommen. "Gemeinsam an einem Werkstück zu arbeiten, zu wandern oder zu basteln schafft eine ganz andere Atmosphäre als bei einem Gruppentreffen", erklärt Steinhäuer, "man spricht offener, wenn man nur ein Gegenüber hat und so vor sich hinarbeitet." Oft bilden sich auf diese Weise auch ganz neue Austauschgruppen und Freundschaften. Ideen, die auf dieser Ebene entstanden sind, wie beispielsweise das Theater, setzen sich fort und werden zu neuen Standbeinen der Freundeskreise.
"Wir haben das gleiche Problem"
Claudia Kessler ist erst seit Anfang dieses Jahres im Westerwälder Freundeskreis. Sie hat die Tage in Nieder-Moos genossen, nicht nur, weil sie eine Holzarbeit nach der anderen gefertigt hat, sondern weil sie beim Austausch mit allen anderen gemerkt hat: "Wir sind alle verschieden, aber wir haben das gleiche Problem." Aus dieser Einsicht scheint einGrundverständnis zu erwachsen, ein Gefühl von Aufgehobensein. Mit ihren 42 Jahren zählt Claudia Kessler schon zu den jüngeren Mitgliedern. Die Altersstruktur geht von 25 Jahren bis weit über die siebzig hinaus. "Je nach Suchtmittel kommen die Menschen früher oder später zu uns", lautet eine Erfahrung von Ursula Nahrgang, der Kassiererin des Landesverbandes: Alkoholiker und Spielsüchtige könnten es länger aushalten als Drogensüchtige, deren Gesundheitszustand viel früher schlecht werde. Grundsätzliche dauere es seine Zeit, bis ein Mensch bereit sei, seine Sucht zu bekämpfen. Die Anlässe dazu sind meist dramatisch. Auch diese Geschichten teilen die Menschen in den Freundeskreisen. Wobei der Name Programm ist. "Wir sind hier wirklich ein Freundeskreis, fast eine Familie, aber ohne Druck, sondern mit viel gegenseitigem Verständnis und Unterstützung. Es tut gut, sich in diesem Umfeld zu treffen", sagt Ulrich Schermer.
Am Ende der Suchttage steht für ihn ein positives Fazit: "Es war ein harmonisches und sehr konstruktives Wochenende. Urgesteine und neue Mitglieder haben sich eingebracht und zu wunderbaren Ergebnissen beigetragen." Alternative zu den Risiken der Sucht wollen die Freundeskreise für ihre Mitglieder und alle anderen Suchtkranken schaffen. Tage wie die in Nieder-Moos zeigen, dass es diese Alternative gibt. (pm) +++