Festspiel-Kostümchefin Kerstin Micheel
Von der Idee bis zur farbenprächtigen Kostümierung auf der Festspielbühne
Kerstin Micheel hängt Abend für Abend jeweils das erste Auftrittskostüm in die Umkleideboxen
Fotos: Christopher Göbel
30.07.2022 / BAD HERSFELD -
Kerstin Micheel gehört seit 2015 zum Stab der Bad Hersfelder Festspiele. Sie leitet die Kostümabteilung und ist somit für alles zuständig, was die Schauspieler:innen in den fünf Produktionen auf der Bühne tragen. Dass dieser Job einige Herausforderungen bietet, erzählt Micheel im O|N-Gespräch.
"Wie genial ist das denn?", fragte sich Kerstin Micheel, als Dieter Wedel sie zu Beginn seiner Intendantenzeit in Bad Hersfeld fragte, ob sie diese Aufgabe übernehmen wollte. Denn ihr erstes Erlebnis mit der Stiftsruine hatte sie bereits im Jahr 2002. Damals war sie mit einer Tournee-Aufführung der Musikhochschule Dresden zu Gast in der Stadt. Der damalige Bühnenmeister Harry Koblenz zeigte ihr die Stiftsruine und sie sagte sich: "Wow, Wahnsinn! Hier möchte ich irgendwann mal arbeiten".
13 Jahre später war es dann soweit. Mit Wedel hatte sie bereits in Dresden bei den "Zwinger-Festspielen" und drei Jahre bei den "Nibelungen-Festspielen" in Worms zusammengearbeitet. Micheel absolvierte zunächst eine Schneiderausbildung, arbeitete dann als Theaterschneiderin und studierte fünf Jahre an der Hochschule für Bildende Künste Dresden mit dem Abschluss Diplom Kostümdesign.
Bei den Bad Hersfelder Festspielen gehören zwei Gewandmeisterinnen, vier Schneiderinnen und 15 Dresserinnen zu ihrem Team. Für "Club der toten Dichter" und "Der Prozess" war Micheel auch Kostümbildnerin. "Der Regisseur hat ein Konzept für sein Stück, welches er mit dem Kostümbildner bespricht. Dieser macht Kostüm-Entwürfe, die dann wiederum mit dem Regisseur besprochen werden", erläutert die Gewandmeisterin den Weg von der Idee bis zum Kostüm. "Meine Aufgabe als Leiterin der Kostümabteilung ist es dann, mit dem Kostümbildner das Konzept zu besprechen und auch auszuloten, was machbar ist", so Micheel. Dabei dürfe sie bei den Kostümbildnern - sofern sie das nicht selbst ist - auch ihr Veto einlegen, sollte etwas nicht möglich sein.
Seide und Regen vetragen sich nicht
"Seide beispielsweise ist für Freilichttheater gänzlich ungeeignet", sagt sie. Sollte es regnen, fällt der Stoff sofort in sich zusammen. Als Alternative nimmt Micheel beispielsweise synthetischen Taft, der auch bei Wind und Wetter auf der Bühne in Form bleibt. Hinzu kommt, dass alle Kostüme mindestens eine Spielzeit unter freiem Himmel überstehen müssen.
"Wenn alles geklärt ist, kümmere ich mich um den Einkauf der Stoffe", sagt Kerstin Micheel. Sie möchte, dass auch die Festspiele nachhaltiger werden. "Ich suche auch aus unserem Fundus alte Kostüme heraus, die wir für aktuelle Produktionen wiederverwenden können. Manche 20 Jahre alten Stoffe sind besser als die heutigen", erläutert die Gewandmeisterin. Dabei werden die alten Kostüme wieder auseinandergenommen und zu neuen umgenäht. Teilweise würden Kostüme auch ausgeliehen, was aber aufgrund des Freilichtspiels in Bad Hersfelder "problematisch" sei. Nach einer Spielzeit in Wind und Wetter seien die Kostüme oft nicht mehr im Originalzustand.
Für "Notre-Dame" gibt es etwa 135 Kostümsätze, für "Goethe!" sind es 112. Die meisten Kostüme in ihrer Bad Hersfelder Zeit wurden für "Luther" benötigt, da dort die Statisterie sehr groß besetzt war. Wenn Rollen doppelt besetzt sind, hat jeder der Darsteller sein eigenes Kostüm-Set. Und auch wenn es Ausfälle gibt, hat die Gewandmeisterin immer ein Notfall-Set im Fundus. Vor allem in diesem Jahr, in dem es immer wieder coronabedingte Ausfälle gab, mussten den Ersatzdarsteller Kostüme innerhalb weniger Stunden oder Tage angepasst werden. "Wichtig ist, dass die Darsteller sich mit ihren Kostümen identifizieren können", so Micheel. Es diene dazu, den Schauspielern zu helfen, ihre Rollen zu interpretieren.
Nur wenige Sekunden während der Show
Damit die schnellen Umzüge hinter der Bühne perfekt funktionieren, ist einiges an Vorausdenken und Vorarbeit nötig. "Jeder Darsteller bekommt vor Beginn der Aufführung das erste Kostüm in seine Umkleidebox. Alle anderen Kostüme werden hinter die Bühne gebracht", sagt Micheel. Um die Umzüge, die manchmal in wenigen Sekunden vonstattengehen müssen, zu ermöglichen, tragen alle Darsteller ein Grundkostüm, auf dem alle anderen Looks aufbauen. "Bei 'Goethe!' müssen wir acht Leute in maximal 30 Sekunden umziehen."
Die Dresserinnen hinter der Bühne, die alle aus Bad Hersfeld, Hünfeld, Fulda und der näheren Umgebung kommen, sind dazu unerlässlich. Sie stehen Abend für Abend bereit, um bei den Umzügen zu helfen, auch wenn diese ein paarmal mit den Darstellern geprobt werden. Kleine Tricks an den Kostümen sorgen ebenfalls dafür, dass An- und Ausziehen rasch möglich sind. "Wir arbeiten viel mit Klettband, Druckknöpfen und Magneten", so die Gewandmeisterin. Manchmal müssen die Dresserinnen auch unter der Bühne durchkrabbeln, um einen Darsteller hinter einer der Säulen umzuziehen. Eine Dresserin, die gerade ihr Abitur gemacht hat, unterbrach sogar ihren Abiball, um abends mitzuhelfen. "Das fand ich großartig. Unsere Dresserinnen sind wahnsinnig wichtig. Ohne die geht es nicht", bekräftigt die Gewandmeisterin.
Vor allem in heißen Sommern müssen die Kostüme nach den Vorstellungen wieder frisch gemacht werden. Aus der Trickkiste der Kostümabteilung kommt dabei Wodka als Spray zum Einsatz. "Das desinfiziert alles und tötet jede Bakterie", lacht Micheel. Und der Alkohol vertreibt auch alle Gerüche, die nach schweißtreibenden Auftritten zurückgeblieben sind. Makeup- und Schminkflecken rücken Micheel und ihr Team mit Bio-Ethanol zu Leibe. Doch auch andere wetterbedingte Beeinträchtigungen müssen schnellstmöglich in Ordnung gebracht werden. Wenn Regen die Kostüme durchnässt hat, kommen ein Trockenschrank und oftmals auch der Föhn zum Einsatz. Leibwäsche, Hemden und Blusen würden nach jeder Vorstellung gewaschen.
Notfall-Reparaturen hinter der Bühne
Während einer Show sollte zwar nichts passieren, aber wenn doch mal ein Kostüm Schaden nimmt, so haben alle Dresserinnen ein Notfall-Utensil zur Hand. "Das nennt sich Sicherheitsnadel", schmunzelt Micheel. Damit könne schnell eine gerissene Naht notdürftig verschlossen werden, damit alles beim nächsten Auftritt wieder sitzt. "Insgesamt müssen wir ziemlich viele Sachen reparieren." Kaputte Reißverschlüsse oder abgefallene Schuhsohlen seien alltägliche Verschleißerscheinungen. Wenn Kostüme nicht in der Waschmaschine gewaschen oder in der Festspiel-Schneiderei repariert werden können, wendet sich Micheel an heimische Handwerksbetriebe und Reinigungen.
Und so ist für Kerstin Micheel und ihr Team immer etwas zu tun, bis die Spielzeit am 28. August zu Ende geht. Und ab dem Herbst, wenn der Spielplan für 2023 präsentiert wird und die Stücke feststehen, geht das große Spiel von vorne los. (Christopher Göbel) +++