Der kleine Glöckner auf der Festspielbühne
Festspiele: Ein Familienstück, das nicht für alle Familien geeignet scheint
Fotos: Christopher Göbel
19.07.2022 / BAD HERSFELD -
Das diesjährige Familienstück "Der kleine Glöckner" feierte am Sonntagnachmittag Premiere bei den "Bad Hersfelder Festspielen". Das Publikum nahm die kleine Version des Festspiel-Stückes "Notre-Dame" zwiespältig auf. Vom Darstellerischen her gibt es nichts zu kritisieren, was jedoch die Umsetzung als "Familienstück" angeht, dürfte durchaus Diskussionsbedarf bestehen.
Es ist klar, dass das Publikum bei "Der kleine Glöckner" keine Disney-Version auf der Festspielbühne erwarten kann. Das ist nicht der Anspruch der Bad Hersfelder Festspiele, wie viele Film-Adaptionen für das Theater in der Vergangenheit gezeigt haben. Genannt sei hier vor allem "Momo" im vergangenen Jahr - ein liebenswertes, kinderfreundliches Kindertheater, das die Herzen der jungen Zuschauerschaft erreichte. So wie auch "Lenas Geheimnis" und "Emil und die Detektive" auf der Bad Hersfelder Festspielbühne.
Das Buch von Victor Hugo könnte selbst für manche Erwachsene zu komplex sein. Für Kinder allemal. Es mag der mitunter angespannten Coronasituation im Festspielensemble und fehlender Probenzeit geschuldet sein, dass "Der kleine Glöckner" eigentlich nur eine abgespeckte Version des Festspielstückes "Notre-Dame" geworden ist.
Stark verkürzte Adaption
Dass das Stück bei jüngeren Kindern möglicherweise nicht gut angekommen sein könnte, liegt wohl daran, dass "Der kleine Glöckner" einfach kein Kinderstück ist. In der auf das Essenzielle verkürzten Adaption von Hugos Roman fehlt viel, was Kindertheater ausmacht. Es wird nicht klar, wer "gut" und wer "böse" ist. Kinder finden hier keine Figur, der sie ihre Sympathien zukommen lassen oder mit der sie sich identifizieren können. Jugendliche können den Handlungssträngen sicherlich besser folgen - allerdings sollten sie sich schon vorher mit der Geschichte auseinandergesetzt haben. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass Eltern ihren Kindern in Vorbereitung auf "Der kleine Glöckner" Hugos dicken Wälzer vorlesen. Beim Hinausgehen nach "normalem" Applaus hörte man Fragen wie "Wo war denn jetzt der kleine Glöckner?" eines Kindes oder "Was machen wir denn jetzt damit?" eines Erwachsenen."Der kleine Glöckner" ist ein auf die Essenz zusammengekürztes Stück, das von den Festspielen Kindern ab zehn Jahren empfohlen wird. Diese Empfehlung könnte noch ein bisschen tief gegriffen sein. Vor allem jüngere Kinder dürften mit dem Theaterstück überfordert sein. Es ist schade, dass die Umsetzung als Familienstück nicht zu 100 Prozent gelungen ist. "Der kleine Glöckner" kann für Jugendliche ein Einstieg in die Welt Victor Hugos sein. Das "klein" des Glöckners bezieht sich also nicht auf einen kleinen (also kindlichen) Glöckner, sondern auf eine kleines "Notre-Dame". (Christopher Göbel) +++