Allround-Talent bei den Festspielen

Aus dem Künstler-Alltag einer Frau, die auffällt und die Welt verändern möchte

Anne Leane Sturm im "Chimaerium" im Bad Hersfelder Stiftspark.
Foto: Christopher Göbel

15.07.2022 / BAD HERSFELD - Anne fällt auf. Vor allem, wegen ihrer Körpergröße, aber auch, weil sie "irgendwie anders" ist. Anne Leane Sturm arbeitet derzeit mit dem "Theater Anu" zusammen und hat das "Chimaerium", das vor den Aufführungen von "Notre-Dame" bei den Bad Hersfelder Festspielen auf dem Spielplan steht, mitgestaltet. OSTHESSEN|NEWS traf die Künstlerin zum Gespräch.



"Ich habe beim Chimaerium die technische Leitung übernommen und die Holzschilder entworfen und hergestellt", sagt Anne. Außerdem ist sie für die Mediengestaltung und auch für handwerkliche Arbeiten zuständig, die bei den Projekten des "Theater Anu" anfallen. Zudem macht die Wahl-Berlinerin Videos und Filme für das Theater und betreut eine zugehörige Internetseite von "ArsAmatoria", einem Projekt, das sich in verschiedenen Veranstaltungsformaten theatralisch, performativ und in Workshopformen mit dem Thema Erotik auseinandersetzt.

Doch eigentlich arbeitet Anne als Selbstständige im Kulturbereich. "Schon mit fünf Jahren war ich fasziniert von den Interaktionsmöglichkeiten, die Computer bieten", erzählt die Künstlerin. Ihre Mutter habe damals ein Hangman-Spiel eigens für sie programmiert, mit dem sie sich damals ausgiebig beschäftigt hat. Mit sieben Jahren habe sie selbst den Computer erkundet und sich seitdem alles, was sie heute kann, autodidaktisch beigebracht. Geboren und aufgewachsen ist sie in Lübeck, wo sie auch ihr Abitur machte. Ihr Studium der Film- und Fernsehwirtschaft absolvierte sie in Dortmund, später machte sie ein Filmpraktikum in Hamburg und lebt heute in Berlin.

Immer neue Herausforderungen

Ihr berufliche Laufbahn ist recht wechselhaft. "Eigentlich habe ich alles, was ich gemacht habe, immer nur ein Jahr lang gemacht", sagt sie. "Ich brauche immer neue Herausforderungen." Sie hat eine Bar in Berlin geleitet, im Textilbereich gejobbt und T-Shirts designed, bei einem Pop-Label gearbeitet und als Product Owner einmal eine IT-Abteilung koordiniert. "Das waren am Ende 16-Stunden-Tage, sieben Tage die Woche", erinnert sich Anne. Das habe zu einem Burnout geführt, dem weitere gesundheitliche Beeinträchtigen gefolgt seien. "Da habe ich beschlossen, dass ich nicht mehr im kommerziellen Bereich arbeiten möchte", so die vielseitige Künstlerin.

Mit den Aufgaben beim "Theater Anu" vor zwei Jahren mit "Die große Reise" auf dem Tempelhofer Feld in Berlin sei bei ihr eine "gewisse Regelmäßigkeit" eingetreten. Die Produktion mit tausenden Teelichtern und Theaterstationen war 2019 auch in der Bad Hersfelder Stiftsruine gezeigt worden. Die Coronapandemie sei das beste, was ihr habe passieren können, sagt Anne. "Ich habe dann begonnen, mit Schauspielern zu streamen. Von März bis Dezember 2020 habe ich 175 Live-Streams gemacht. Streaming ist das, was Film nicht kann und was Theater nicht kann." Sie sei Perfektionistin, bei allem, was sie tue. "Geld ist nicht meine Hauptmotivation." Mit Anetta Kahane hat sie für die "Amadeu Antonio Stiftung" eine Webseite gegen Hate speech im Internet entwickelt.

EU-Computerspiele

Neben ihren Aufgaben bei Theater Anu von Stefan und Bille Behr beschäftigt sie sich aktuell mit der Programmierung von Computerspielen für das EU-Projekt "European Integraty Games", einem Projekt von "Transplanispère" aus Paris, das mit jungen Menschen aus Europa Theateraktionen umsetzt. Dazu haben sich sechs Vereine aus verschiedenen EU-Nationen zusammengeschlossen, um über Integritätsmissstände in der EU aufzuklären. Sie arbeitet in diesem Rahmen mit dem "Förderband e.V." an einem Spiel über Frontex, die EU Agentur für Grenz- und Küstenwache. Es gehe dabei unter anderem um Menschenrechtsverletzungen. "Man erforscht als Spieler das Frontex-Gelände und deckt Missstände auf", erzählt Anne. Es gebe auch ein Spiel zum Thema Nahrungskette. "Die Spiele sind hybrid, also für PC und als Brettspiel. Teilweise sind die Spiele 3D-animiert, und es sind auch Quiz-Spiele dabei", so Anne. Die Spiele sind über die European Integraty Games-Website für jeden Interessenten zugänglich.

Ein Thema beschäftigt Anne dennoch oft. Da sie als transsexuelle Person auffalle, gehört Diskriminierung "natürlich" zu ihrem Alltag. "Es hat keine Relevanz, ob jemand Mann oder Frau ist", sagt Anne. Ihr dritter Vorname lautet übrigens Jupiter. "Ich arbeite jeden Tag daran, die Welt und/oder die Gesellschaft zu verändern", so die Künstlerin. Sie glaubt, dass jeder Mensch zu Mitgefühl in der Lage sei. "Ich stehe dafür ein, was ich bin. Und ich erwarte, dass andere Menschen mich so akzeptieren. Ich versuche, jedem Menschen so zu begegnen, dass daraus eine positive Erfahrung für denjenigen zurückbleibt", sagt Anne. "Kein Mensch ist besonders, aber jeder Mensch ist einzigartig."

Nach Bad Hersfeld führt ihre Arbeit sie nach Italien zu einem Workshop. Auch ein neues Projekt vom "Theater Anu" in Berlin ist geplant. Bis zum Ende des "Chimaeriums" kann man Anne Leane Jupiter Sturm vielleicht noch das ein oder andere Mal in der Festspielstadt begegnen und mit ihr ins Gespräch kommen. (Christopher Göbel) +++

Anne Sturm am ersten Tag des \"Chimaeriums\" bei den Bad Hersfelder Festspielen
Foto: Carina Jirsch

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