Arbeitskreis gegründet

Gegen das Vergessen: 13 Stolpersteine erinnern an die jüdischen Mitbürger

Der Künstler Gunter Demnig verlegt die Stolperstein in Niederaula
Fotos: Hans-Hubertus Braune

29.06.2022 / NIEDERAULA - "In einer Gaststätte mit Wohnhaus in der Bahnhofstraße in Niederaula wütete ein wilder Mob. Türen wurden beschädigt, Fensterläden heruntergerissen und Scheiben eingeworfen. Teile des Inventars wurden ebenfalls zerstört. Den Bewohnern wurde körperliche Gewalt angedroht und diese mussten sich verstecken. Aus Angst vor ihren Verfolgern sprang ein elfjähriges Mädchen aus dem Fenster und blieb mit gebrochenen Beinen im Hof liegen."



Hierbei handelt es sich natürlich um keine aktuelle Meldung aus Niederaula. Fast wörtlich gab aber der Polizeibericht vom 8. November 1938 Geschehnisse aus der Pogromnacht in Niederaula wieder. Diese Beschreibung stellte der Arbeitskreis Stolpersteine in Niederaula in der Pressemitteilung an den Anfang. Der partei- sowie konfessions­übergreifende Arbeitskreis will an die jüdischen Mitbürger erinnern. Am Dienstagvormittag wurden insgesamt 13 Stolpersteine im Bereich der Bahnhofstraße und Querstraße verlegt.

Unter anderem an der Stelle, wo die Gaststätte einst gestanden hatte. Heute ist dort eine kleine Wiesenfläche. Initiator der Stolpersteine ist der Künstler Gunter Demnig (74). Der gebürtige Berliner lebt heute in einem Stadtteil von Alsfeld (Vogelsbergkreis) und hat seit dem Jahr 1993 europaweit bereits über 90.000 Stolpersteine verlegt.

"In den jeweiligen Gemeinden helfen sie, die lokale Geschichte aufzuarbeiten und das Gedenken lokal zu verankern. Sie fördern einen öffentlichen Diskurs und integrieren oft die nachwachsende Generation in die Recherche und die Aufarbeitung. Im Idealfall immunisieren sie uns gegen ähnliche Entwicklungen, machen uns sensibel für Menschenrechtsverbrechen und erinnern uns daran, wie wichtig eine offene und tolerante Gesellschaft ist", wird die Aktion auf der Internetseite von Demnig beschrieben. Gunter Demnig gehe es laut den Informationen auf seiner Internetseite um das individuelle Gedenken. "Die Nationalsozialisten wollten die Menschen vernichten, zu Zahlen machen und selbst die Erinnerung an sie auslöschen." Demnig möchte diesen Prozess umkehren und die Namen zurück in unsere Städte holen – dahin, wo die Menschen einst ihren Lebensmittelpunkt hatten

"Wir lassen uns nicht zurückschrecken"

Während Demnig die ersten Stolpersteine verlegte, beschrieb unter anderem Heidi Rößing das Schicksal der Familie Levi. Rößing engagiert sich für die jüdische Geschichte in Niederaula. In der Querstraße ergreift Werner Meyreiß das Wort. Der evangelische Pfarrer Werner Ewald und Bürgermeister Thomas Rohrbach begrüßten die rund 40 Gäste zunächst vor der evangelischen Kirche. "Wir lebten hier in Niederaula in den vorigen Generationen vertraut mit den jüdischen Mitbürgern", sagte Ewald. Die Namen der Opfer dürften nicht in Vergessenheit geraten.

Die Stolpersteine setzen ein Zeichen gegen das Vergessen. Rohrbach dankte dem Arbeitskreis Stolperstein für ihr Engagement und berichtete von einer anonymen E-Mail, worin die Aktion kritisiert werde. "Wir lassen uns nicht zurückschrecken", sagte Rohrbach. In weiteren Wortbeiträgen wurde unter anderem eine E-Mail von Robert Daniel vorgelesen. Er lebt heute in New Jersey. Seine Familie fühle sich geehrt, dass durch die Stolpersteine an seine Vorfahren in Niederaula erinnert werde. (Hans-Hubertus Braune) +++

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