Welturaufführung in Bremen
Komponist Michael Quell: Sprachlosigkeit zur Sprache werden lassen
Foto: Carina Jirsch
19.06.2022 / FULDA -
Das 15-köpfige Ensemble "New Babylon" hat sich der Neuen Musik verschrieben. 2022 besteht die Bremer Formation seit zehn Jahren, und das wird mit einem besonderen Programm gefeiert: mit zehn Konzerten an zehn verschiedenen Orten. Und mit zehn Auftragswerken, die an fünf Komponistinnen und fünf Komponisten aus verschiedenen Generationen, Kulturkreisen und ästhetischen Stilrichtungen vergeben worden sind. "Konzert V" wurde dabei dem Fuldaer Komponisten Michael Quell übertragen, dessen Werk "response-kontraklang-(ou)topos, Streichquartett Nr.1" am Sonntag, 19. Juni, 19 Uhr, in der Bremer "Weserburg - Museum für moderne Kunst" welturaufgeführt wird.
Das Ensemble "New Babylon" bezieht unter anderem Elektronik und Improvisation in seine Musik mit ein. Man wolle mit dem Projekt eine möglichst große Bandbreite der Neuen Musik abbilden, aber auch unterschiedliche Publikumsschichten erreichen, so die Gruppe.
Im Vorfeld des musikalischen Ereignisses sprach O|N mit Michael Quell über den Charakter des genannten Werkes, dessen Interpreten bei der Uraufführung Marijke Tjoelker und Johannes Haase (Violinen), Hannah Craib (Viola) und Kyubin Hwang (Violoncello) sein werden. Der Kompositionsauftrag wird - wie auch die übrigen neun - finanziert durch die "Ernst von Siemens Musikstiftung".
Ein Konzept für das Streichquartett
Ende des vergangenen Jahres, als Quell intensiv an einem Konzept für das Streichquartett arbeitete, "bestimmte zunächst noch ein astrophysikalisches Sujet ganz meine (musikalische) Vorstellungswelt. Es waren die kosmischen Filamente, filigran und zugleich multipel verzweigte Systeme, die wie groß angelegte, gewundene Fäden das Universum über mehrere Milliarden Lichtjahre durchziehen und eine faszinierende, geheimnisvolle Art von Metastruktur aus jeweils Milliarden Galaxien bilden".Dann aber seien es die Ereignisse nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine gewesen, "die mich bewogen haben, den bereits vollständig ausgearbeiteten Entwurf beiseite zu legen und ein komplett neues Stück zu konzipieren". Quell weiter: "Dabei war es der radikale Zivilisationsbruch und das damit einhergehende Grauen selbst, das mir diesen Schritt im Innern erzwang. Zugleich aber waren es auch die reflexartigen Zuckungen darauf in unserer eigenen Gesellschaft, breite gesellschaftliche Konsense mit dem Neologismus 'Zeitenwende' weitgehend unhinterfragt von heute auf morgen komplett hinwegzufegen, mit dem Resultat einer neuen Logik vermeintlicher 'Stärke', der das Potenzial des immer weiteren Auseinanderdriftens naturgemäß inhärent ist". Denn eigentlich sollte es in unserer heutigen aufgeklärten Gesellschaft möglich sein, sich auf einen differenzierten Diskurs einzulassen.
Sprachlosigkeit
Mit seinem Werk habe er versucht, die herrschende "Sprachlosigkeit zur Sprache werden zu lassen". Vielmehr wolle das Werk einen Gegenklang entwerfen, eine (musikalische) Welt der Stille, der Einkehr, der Zurückgenommenheit. Letztlich also eine Sprachlosigkeit, die zum Bekenntnis und damit wieder zur Sprache wird. "So wie der Nicht-Ort (outopos), der letztlich doch auf gewisse Weise zu einem Ort (topos) wird".Somit erweise sich die Perspektive seiner Komposition als ganz nach innen gerichtet. Und natürlich schimmere der Gedanke an die anfangs erwähnten kosmologischen Filamente immer wieder hindurch, die als makrostrukturelles Phänomen innerhalb des Universums dieses durchziehen. (Bertram Lenz) +++