Per App zu mehr Gesundheitskompetenz

Über 100 Schüllerinnen lernen mit Hilfe von Ralley lokale Hilfsangebote kennen

Die App Nebolus ist ein sogenanntes storybasiertes location-based Game, das heißt, im Vordergrund steht eine Karte des jeweiligen Orts und der Stationen, die abzulaufen sind.
Foto: Projekt Nebolus / Felix Wiedemann

20.05.2022 / FULDA - Mittwochmorgen auf dem Universitätsplatz in Fulda. Demian Frank und Verena Krah geben die letzten Anweisung. 106 Schülerinnen und Schüler aus der Eduard-Stieler-Schule, dem Marianum und der Domschule werden sich gleich auf den Weg machen und Emma suchen. Die 16-Jährige ist seit einigen Tagen verschwunden. Ihr bester Freund Mike macht sich große Sorgen. Was ist passiert? Wo ist sie?  Mithilfe der in Fulda entwickelten und von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geförderten App Nebolus gehen die Schülerinnen und Schüler auf die Suche. Der Weg wird sie in den nächsten zwei Tagen in kleinen Gruppen zu sieben Einrichtungen in der Stadt Fulda führen, die Hilfe und Unterstützung bei psychischen Problemen bieten. Alles Anlaufstellen, die die Jugendlichen auch aufsuchen können, sollten sie selbst einmal Hilfe benötigen. 



Die Schülerinnen und Schüler sind an diesen beiden Tagen zudem Teil eines Forschungsprojekts. Die Forschenden wollen herausfinden, ob mit der App Nebolus und der fiktiven Geschichte der verschwundenen Emma die Gesundheitskompetenz der Rallye-Teilnehmenden gestärkt werden kann. "Die Teilnehmenden beantworten anonym vor und nach der Rallye einen Fragebogen rund ums Thema Gesundheit. Parallel befragen wir eine Kontrollgruppe – das sind diejenigen, die im Juni die Rallye absolvieren werden", erklärt Demian Frank, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt Nebolus. Er hat die App gemeinsam mit Verena Krah, Fabrice Pöhlmann, Softwareentwicklern und dem Leiter des Projekts, Professor Dr. Kevin Dadaczynski, entwickelt. Dadaczynski hatte die Idee für die App. Er beschäftigt sich mit Gesundheitskommunikation und forscht an der Hochschule Fulda unter anderem zur Frage, wie sich Gamification, also ein spielerischer Ansatz, zur Prävention und Gesundheitsförderung nutzen lässt.

Warum Gesundheitskompetenz so wichtig ist

Die App soll jungen Menschen mit spielerischen Mitteln und auf Basis einer spannenden Geschichte dabei helfen, Gesundheitsinformationen in ihrer Lebenswelt zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden. Fachleute bezeichnen diese Fähigkeiten als Gesundheitskompetenz. Was etwas sperrig klingt, ist ein Problem für viele Menschen. Denn zu gesundheitsbezogenen Fragen und Anliegen lassen sich binnen weniger Minuten unzählige digitale Informationen finden –  neben guten und fachlich korrekten auch solche, deren Inhalt unklar, zweifelhaft oder falsch ist. Die Folge: Es wird immer schwieriger, sich im Informationsdickicht zu orientieren und angemessene Entscheidungen für die eigene Gesundheit zu treffen. 

Studien zufolge hat mehr als die Hälfte der Erwachsenen Schwierigkeiten im Finden von und im Umgang mit gesundheitsbezogenen Informationen. Auch Heranwachsende tun sich schwer und weisen Wissensdefizite im Bereich Gesundheit auf. "Gesundheitskompetenz sollte möglichst früh im Lebenslauf, also bereits im Jugendalter, gefördert werden. Wissen, Einstellungen und gesundheitsbezogene Fähigkeiten entwickeln und festigen sich bereits im jungen Jahren", sagt Frank und ergänzt: "Wir sind überzeugt, dass die Förderung der Gesundheitskompetenz Spaß machen kann."

In die Lebenswelt der jungen Menschen hineingehen

Mit Nebolus gehen die Forschenden direkt in die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler hinein. "Damit junge Menschen die regionalen Angebote der Gesundheitsförderung und Prävention kennenlernen und nutzen, ist es wichtig, Barrieren abzubauen und sie mit den Hilfs- und Unterstützungsangeboten in Kontakt zu bringen", betonen sie. Mittels Sprachnachrichten, die über einen QR-Code abrufbar sind, lotsen sie die Jugendlichen zu verschiedenen Einrichtungen in Fulda, die Hilfe und Unterstützung anbieten. Dort erfahren sie, eingebunden in die Geschichte der verschwundenen Emma, auf welche Beratungsangebote sie im Bedarfsfall zugreifen können.

"Junge Menschen suchen zwar zunehmend digital nach gesundheitsbezogenen Informationen. Diese müssen aber in den Alltag überführt und außerhalb der digitalen Welt angewendet werden", erläutert Frank. Das erfordert eine gute Orientierung im lokalen Umfeld. Denn Sportvereine, Beratungsstellen, Jugendclubs und Einrichtungen, die in gesundheitlichen Problemsituationen unterstützten, bieten ein großes Spektrum an Hilfs- und Unterstützungsangeboten. Wie gut die Interaktion mit den Fachakteuren gelingt, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Erfahrungen die Heranwachsenden mit dem Unterstützungssystem wie den Fachakteuren gemacht haben.

Niedrigschwellig die lokalen Angebote kennenlernen

Mittlerweile sind die ersten Schülerinnen und Schüler in der Fachberatungsstelle Kinderschutz AKTIV des Sozialdiensts katholischer Frauen angekommen. Sie ist Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die sexualisierte Gewalt erleben. Emma, so haben sie erfahren, wurde die Einrichtung von einer Mitarbeiterin eines Jugendclubs empfohlen. Ihr hatte die 16-Jährige von einer anfänglich netten männlichen Bekanntschaft erzählt, die sich dann in eine bedenkliche Richtung entwickelte. In der Beratungsstelle lernen die Schülerinnen und Schüler nun die Räume und das Fachpersonal kennen und können Fragen zum Thema sexualisierte Gewalt stellen – ohne Tabus. 

"Es ist uns ganz wichtig, dass Kinder und Jugendliche sensibilisiert werden und dass sie einen Ort haben, wo sie über das Thema sprechen können", sagt Alexandrina Prodan, die die Jugendlichen im Rahmen der Rallye begleitet. Das falle leichter, wenn man das Hilfsangebot nicht nur kenne, sondern auch schon mal vor Ort gewesen sei und die Kontaktpersonen gesehen habe. Elli, eine der Teilnehmerinnen, bestätigt das: "Es hilft, die Beratungsstelle schon mal gesehen zu haben und die Personen dort zu kennen", sagt sie. Es sei gut zu wissen, dass einem jemand hilft, sollte man Hilfe benötigen – und dass man anonym anrufen kann. Auch in einer Gruppe unterwegs zu sein, findet sie gut. "Alleine würde ich das wahrscheinlich nicht machen."

Auch den Kinderschutzbund, den Jugendclub Ostend, die Diakonie, die Beratungsstelle Eltern, Kinder und Jugendliche und die Jugendkulturfabrik lernen die Schülerrinnen und Schüler kennen. "Um die Rallye an den beiden Tagen realisieren zu können, haben viele Personen ihren Beitrag geleistet, und wir freuen uns, wie sich das nun bezahlt macht", betont Frank. "Der stetige Austausch mit den Fachakteuren war dafür unabdingbar. Wenn wir nun die einzelnen, teils sehr kreativen Konzepte der Fachakteure bei der Rallye sehen, freut uns das besonders. Denn eine Nebolus-Rallye lebt von den Ideen der beteiligten Einrichtungen."

Lokale Akteure waren an der Entwicklung beteiligt

Lokale Akteure aus den Bereichen Gesundheit, Bildung und Soziales waren frühzeitig an der Gestaltung der Rallye beteiligt. Ein Jugendbeirat wurde aktiv in die Entwicklung der App involviert. "Nebolus ist das Ergebnis eines partizipativen und agilen Entwicklungsprozesses. Die Jugendlichen haben nicht nur wichtige Impulse für das Storytelling, also für die Geschichte der verschwundenen Emma, gesetzt. Auch während der technischen Umsetzung haben wir regelmäßig deren Feedback eingeholt und dieses bei der Planung und Umsetzung mit IT-Experten berücksichtigt", erläutert Frank. "Von den Jugendlichen haben wir gelernt, wie wichtig eine spannende Geschichte ist, mit der sie sich identifizieren können. Und wir haben gelernt, dass sie eine Stimme hören wollen." So ersetzte das Team die ursprünglich geplanten Text- durch Sprachnachrichten. Auch kleine grafische Symbole, die Feedback zu einer Aufgabe geben, baute das Projekt-Team auf Wunsch in die App ein. 

Umgekehrt hoffen die Forschenden, mit der App auch einen Impuls für das lokale Angebot der Prävention und Gesundheitsförderung geben zu können. "Wir wollen auch die Zusammenarbeit von lokalen Fachakteuren fördern und die Entwicklung einer koordinierten kommunalen Präventionsstrategie anregen", sagt Frank. "Unser Ziel ist ein langfristiger Effekt über die Rallye hinaus."

Im Juni werden weitere 70 Fuldaer Schülerinnen und Schüler dieselbe Rallye absolvieren. Danach werten die Forschenden alle gesammelten Informationen aus. Die Ergebnisse sollen im Sommer veröffentlicht werden. Schon jetzt steht die App bundesweit zur Verfügung. "Wir sind mit vielen Kommunen bereits in Kontakt", freut sich Frank. Auch von den Fuldaer Schülerinnen und Schülern kommt ein für das Projekt erfreuliches Feedback: "Die Rallye macht Spaß."

Zur App Nebolus

Die App ist in Form eines storybasierten location-based Games aufgebaut, das heißt, im Vordergrund steht eine Karte des jeweiligen Orts und der Stationen, die abzulaufen sind. Nebolus ist als Gruppenaktivität angelegt und kann daher von kleinen Teams durchlaufen werden. Die App läuft auf Android und iOS Smartphones und kann kostenfrei bei Google Play und im App Store heruntergeladen werden. Die Entwicklung der Nebolus App erfolgte nach dem Prinzip der Datensparsamkeit.  Es werden keine Daten erhoben, die eine Zuordnung zu einer Person ermöglichen. www.nebolus.net (pm) +++

Über QR-Codes erhalten die Schülerinnen und Schüler Sprachnachrichten zu Emmas Aufenthaltsorten.

Die Rallye durch Fulda umfasst sieben Einrichtungen, die Hilfe und Unterstützung bei psychischen Problemen anbieten.

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