Und die Ukraine tanzt ...

Schönen Gruß von Yoko Ono: Zur Lesung "Verboten und verbrannt" im Kreuz

In fast allen deutschen Studentenstädten wurden am 10. Mai 1933 Bücher verbrannt.
Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

12.05.2022 / FULDA - "IMAGINE PEACE. Love, Yoko 2022", stand auf einem großen weißen Banner, das am Dienstag den Kreuz-Saal in Horas schmückte. Damit war die Richtung für den Leseabend mit dem Titel "Verboten und verbrannt" vorgegeben. In diesem Jahr wollten die Organisatoren nämlich nicht nur an die Bücherverbrennung durch die Nazis vor 89 Jahren erinnern, sondern vor allem auch ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine aussenden.



So begrüßte Martin Übelacker vom Verein "Fulda stellt sich quer gegen Rassismus" neben zahlreichen Zuschauern auch eine Truppe junger ukrainischer Frauen und Mädchen, die auf ihrer Flucht in Fulda gelandet sind und sich auch hier erst kennengelernt haben. Spontan hatten sie eigens für den Leseabend mehrere Tänze und Lieder einstudiert – Folklore-Pop und traditionelle Weisen –, die viel Wärme ausströmten, mitunter Verzweiflung, aber auch den unerschütterlichen Glauben ans eigene Volk. Eine gelungene Einstimmung auf das eigentliche Thema des Abends.

"Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen", hatte Heinrich Heine (1797-1856) geschrieben, und seine Schriften gehörten am 10. Mai 1933 zu den ersten, die bei einer von der deutschen Studentenschaft reichsweit organisierten Bücherverbrennung in die Flammen flogen. Nur wenige Wochen nach seiner Machtergreifung zeigte das Nazi-Regime, wohin der Weg führen sollte, und das Pathos des Ungeistes gegen "schändliche, unerwünschte und undeutsche" Autoren klingt uns aus Wochenschauaufnahmen noch in den Ohren: "Wir übergeben der Flamme die Schriften von Heinrich Heine …"

An eben diese dunkle Stunde der deutschen Geschichte erinnerte nun bereits zum siebten Mal das Bündnis "Fulda stellt sich quer" in enger Zusammenarbeit mit der AWO und dem Antiquariat Ulenspiegel in der Fuldaer Löherstraße. Dessen Inhaber Manfred Borg ist naturgemäß in der Literatur bewandert und führte kenntnisreich von Textbeitrag zu Textbeitrag. Bewusst habe er diesmal bei der Auswahl auf die ganz großen Namen wie Thomas Mann oder Erich Kästner verzichtet. Stattdessen wollte er Autoren und Autorinnen vorstellen, die dem Leser vielleicht noch nicht so bekannt sind, von den Nazis aber genauso verboten wurden.

Insgesamt acht Fuldaer Persönlichkeiten lasen die Texte mit Disziplin und Engagement vor. Den Anfang machte Bischof Dr. Michael Gerber mit einem Sonett von Reinhold Schneider:

Allein den Betern kann es noch gelingen,
das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten
und diese Welt den richtenden Gewalten
durch ein geheiligt Leben abzuringen.

Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,
was sie erneuern, über Nacht veralten,
und was sie stiften, Not und Unheil bringen.

Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,
und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,
indes im Dom die Beter sich verhüllen,
bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt
und in den Tiefen, die kein Aug’ entschleiert,
die trockenen Brunnen sich mit Leben füllen.

Ferner waren zu hören: Dr. Marion Wagner (mit einem Text von Janusz Korczak), Philipp Garrison (Albert Ehrenstein), Andreas Hippert (Nelly Sachs), Ilona Götz (George Grosz), Günter Pfeffer (Primo Levi), Anna-Lena Kökgiran (Stefan Zweig) sowie Sabine Bolz (Roda Roda). Letztere Vorleserin ist die Namensgeberin des Ensembles "Sabinett", das den Abend musikalisch gestaltete.

Propagandaminister Joseph Goebbels zelebrierte am 10. Mai 1933 übrigens höchstpersönlich vor 40.000 Menschen auf dem Opernplatz in Berlin die "Säuberung" der deutschen Literatur. In der Folgezeit wurden rund 12.400 Titel aus Bibliotheken und Buchhandlungen entfernt, die deutsche Literatur versank in Provinzialismus und gedieh nur im Exil weiter. Der Historiker Friedemann Bedürftig stellt fest, dass die Bevölkerung damals die Bücherverbrennung meist nur als "studentischen Bierulk betrachtete - die Tragweite erkannten nur wenige". (mw) +++ 


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