Ein Dorf steht zusammen
Fliedener Tisch unterstützt seit 13 Jahren Bedürftige - "Unglaublich bereichernd"
Fotos: Lea Hohmann
23.05.2022 / FLIEDEN -
Steigende Lebensmittelpreise, höhere Ausgaben und gezwungenermaßen weniger Geld zum Überleben - immer mehr Menschen in Deutschland haben es schwer, über die Runden zu kommen und leben zunehmend am Existenzminimum. 2009 wurde als eine Initiative der katholischen und evangelischen Kirchengemeinden im Königreich der "Fliedener Tisch" unter der Trägerschaft des Generalvikariats Fulda gegründet. Heute werden jede Woche - immer donnerstags – etwa 160 Menschen aus den Großgemeinden Flieden, Neuhof und Kalbach durch diese Einrichtung versorgt, Tendenz steigend.
Nachfrage nach Lebensmitteln gestiegen
Da der Fliedener Tisch nicht dem Bundesverband der Tafeln angehört, ist es - im Gegensatz zu den im Verband organisierten Tafeln der Region - möglich, Waren gezielt zuzukaufen. "Das Zukaufen von Lebensmitteln ist ein großer Vorteil für uns. Wenn die Lebensmittelspenden kleiner ausfallen, können wir so trotzdem garantieren, dass jeder zumindest mit gewissen Grundnahrungsmitteln ausreichend versorgt wird", so Peter Bach, verantwortlich für die Warensortierung und Hygienebeauftragter. Gerade in Zeiten des Ukrainekriegs ist die Nachfrage nach Lebensmitteln nochmals stark gestiegen. "Wir versorgen derzeit etwa 20 ukrainische Familien mit rund 80 Personen, das macht rund die Hälfte unserer gesamten Kundschaft aus", so Hack.Für die Ausgabe wurden die Räumlichkeiten der ehemaligen Bäckerei Heller im Zentrum von Flieden angemietet. Während Margot Heller dort früher Torten und frische Backwaren verkaufte, ist sie heute die "gute Seele" des Fliedener Tischs: "Ich mache die Arbeit unglaublich gerne, kenne viele Kunden mittlerweile persönlich. Auch wenn es viel Arbeit und vor allem organisatorischen Aufwand bedeutet - es macht unglaublich Spaß, diesen Menschen zu helfen", so die ehemalige Bäckerin. "Bei uns wird nichts weggeworfen. Die Lebensmittel, die wir nicht an die Kunden abgeben, werden an den Gnadenhof gespendet", so Heller. Die Ausgabe der Waren erfolgt für die Kunden zu genau festgelegten Zeiten, sodass keine langen Wartezeiten entstehen.
Jeder Donnerstag ist ein "sozialer Austausch"
Die Lebensmittel erhält der Fliedener Tisch von regionalen Supermärkten sowie von Metzgereien und Bäckereien. "Für viele Menschen ist das wöchentliche Abholen der Lebensmittel ein wichtiger sozialer Austausch. Die für Sortierung und Ausgabe der Waren zuständigen Frauen sind mittlerweile ein eingespieltes Team und kennen die Gewohnheiten und Bedürfnisse der Kunden. Es entstehen so rege Gespräche, die nicht nur die Bedürftigen, sondern auch uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr bereichern", so Gertrud Schneider, Schriftführerin und in der Warenausgabe tätig, die von Silvia Happ koordiniert wird. Gründung im Jahr 2009
Bereits im Jahr 2009 kam der Gedanke auf, im Königreich eine Lebensmittelausgabe ähnlich den Tafeln zu gründen. Hauptinitiator war der frühere Vorstand der Raiffeisenbank Flieden, Lothar Jünemann sowie des Weiteren der katholische Pfarrer Thomas Maleja, der evangelische Pfarrer Holger Biehn und der ehemalige Bürgermeister Winfried Kress. Da aber unter den Nachbartafeln nicht alle für eine weitere Gründung unter dem geschützten Namen "Tafel" in Flieden waren, entschloss man sich nach dem Vorbild der Efa (Essen für Alle) Wächtersbach, die auch die Patenschaft in Flieden übernahm, eine gleiche Einrichtung unter dem Namen "Fliedener Tisch" zu gründen. Diese hat ihren Sitz in Flieden und ist zuständig für Bedürftige in den Großgemeinden Flieden, Neuhof und Kalbach. Eine Mitgliedschaft im Bundesverband der Tafeln besteht somit nicht und man unterliegt auch nicht deren teilweise einschränkenden Regularien.
"Warenangebot immer knapper"
Nachdem ein ausführliches Konzept ausgearbeitet wurde und sich ein Orga-Team von acht Personen zusammengefunden hatte, ging es schließlich ans Eingemachte. Am 4. März 2010 verzeichnete der Fliedener Tisch seinen ersten Ausgabetag. "Der Bedarf war schon damals gegeben und es war schnell klar, dass die Gründung ein Schritt in die richtige Richtung war", meint Schneider. "Vor etwa zwei Monaten noch hatten wir Lebensmittel im Überfluss. Seitdem wir ständig mehr Geflüchtete aus der Ukraine versorgen, wurde das gespendete Warenangebot auch bei uns immer knapper, sodass wir vermehrt Lebensmittel zukaufen mussten", so Hack. Die Dankbarkeit auf ukrainischer Seite ist jedoch groß. "Vor einigen Tagen fing eine junge ukrainische Frau beim Abholen der Lebensmittel an zu weinen. Das war schon sehr ergreifend. Sie war vollkommen überwältigt, dass sie hier eine so große Unterstützung erfährt", erinnert sich Peter Bach, der sie als Kundin aufgenommen hatte.
Gutscheine und Gabenzaun statt Lebensmittelausgabe
Da in Zeiten der Pandemie die Ausgabe von Lebensmitteln für ein halbes Jahr nicht möglich war, hat der Fliedener Tisch aus der Not heraus auf andere Weise geholfen. Zum einen hat jede Familie in dieser Zeit zweimal entsprechend ihrer Personenzahl Lebensmittelgutscheine eines örtlichen Lebensmitteleinzelhändlers erhalten. Darüber hinaus wurde ein "Gabenzaun" im Eingangsbereich der Ausgabenstelle eingerichtet und dort regelmäßig gespendete bzw. zugekaufte Lebensmittel angebracht, an dem sich Bedürftige bedienen konnten. Beide Angebote wurden dankbar angenommen. Situation bundesweit so angespannt wie nie
"Leider gibt es viele Menschen, die sich schämen, das Angebot des Fliedener Tisches in Anspruch zu nehmen. Auf dem Dorf liegt die Hemmschwelle nochmals höher als in der Stadt, wo alles etwas anonymer zugeht", so Schneider und Mihm, die betonen: "Es kam schon vor, dass Kinder ihre Eltern darum baten, nicht zum Fliedener Tisch zu gehen - die Angst vor sozialer Ausgrenzung ist groß. Das macht wirklich traurig".