Von Christina Lander

Nachgedacht im März: Frieden und Freiheit

Christina Lander ist Autorin bei OSTHESSEN|NEWS für die Serie "Nachgedacht".
Archivbild: O|N / Hendrrik Urbin

07.03.2022 / REGION - Mit Wolfgang Borcherts Kurzgeschichten bin ich 2003 das erste Mal in Kontakt gekommen. Unser damaliger Deutschlehrer hat sie mit uns in Klasse 8 besprochen und ich kann mich noch daran erinnern wie heute. Die Texte "Nachts schlafen die Ratten doch" und vor allem "Die Küchenuhr" haben mir, einem jungen Teenager, literarisch nahegebracht, was Krieg bedeutet. Aber das Besprechen dieser Literatur spielte sich in einem geschützten Rahmen ab, es war ja ein Nachempfinden, ein Lernen, ein Mahnen – so war es einmal hier in eurem Land! Doch die Push-Nachricht der Tagesschau auf meinem Smartphone in den frühen Morgenstunden des 24. Februars, fast 20 Jahre später hat den Gedanken, den ich damals im schützenden Rahmen des Unterrichts gefasst hatte - dass das nicht mehr auf diesem Kontinent passiert - in Luft aufgelöst.



Ein Tag nach dem Angriff auf die Ukraine habe ich mit meiner Familie den Geburtstag meines Opas feiern dürfen. 87 Jahre alt ist er geworden. Und er erzählte uns erneut alles über den Krieg, was er noch wusste: Kurz nach Ostern 1944 feierte er noch in Nordrhein-Westfalen seine Kommunion, abends nach der Feier saß die Familie im Keller, Bombenalarm. Sie wurden noch einmal verschont, aber die Mutter floh kurz darauf mit ihm und seinen Geschwistern von Dortmund nach Großenlüder aufs Land. Sein großer Bruder war im Krieg, sein Vater musste in der Großstadt bleiben, als Maurer wurde er gebraucht. Nur wenige Tage später wurde sein Elternhaus bombardiert und sein Vater darin begraben. Auch sein Bruder fiel im Krieg.

Ich habe mich immer gefragt, wie mein Opa das alles geschafft hat. Als kleines Kind so etwas zu erleben, erschien mir wahnsinnig schwierig. Und jetzt sehe ich solche Bilder, wie sie mir mein Opa erzählt hat, wie sie mir in der Literatur erzählt wurden, in Europa. Weinende, an Körper und Seele verletzte und gezeichnete Menschen, Abschiedsszenen, Bombenhagel. In den letzten Tagen musste ich mir Bildschirmzeit verordnen, mehr als 30 Minuten schaffe ich momentan nicht, weil mich dieser Krieg mit solch einer Wucht erschüttert hat, dass ich sonst zu traurig werde.

Und die Menschen dort können nicht auf den Pausenschalter drücken, können nicht wie ich sagen, mir reichts. Sie kämpfen mit einer Leidenschaft für ihr Land und die Demokratie, dass wir vor Scham erröten müssten, weil wir das alles womöglich nicht mehr zu schätzen wissen. Doch Europa feiert in diesen dunklen Stunden eine Wiedergeburt. Die Menschen besinnen sich auf das, was unser Leben ausmacht, Freiheit und Frieden! Wir müssen mit allen uns möglichen Mitteln dieses mutige Land unterstützen. Denn die Ukrainer kämpfen auch für uns, für unsere Werte und unser Europa. (Christina Lander) +++

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