Regionale Politiker hoffen
"Stück Scheiße", "Sondermüll": Bundesverfassungsgericht stärkt Politikerschutz
"Stück Scheiße", "Sondermüll": Bundesverfassungsgericht stärkt Politikerschutz
Symboldbild: Pixabay
14.02.2022 / REGION -
Die Grünen-Politikerin Renate Künast musste sich in den sozialen Medien einiges gefallen lassen: Derbste Beleidigungen wie "kranke Frau" und "Pädophilen-Trulla" waren zuerst vor Gericht im Rahmen der Meinungsfreiheit als zulässig erklärt worden. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht frühere Urteile aufgehoben, Facebook muss außerdem Nutzerdaten herausgeben. Künast ist streitbare Bundespolitikerin - dass das höchste deutsche Gericht die Schwelle so niedrig ansetzt, lässt auch regionale Politiker hoffen.
Ein Facebook-Post mit einem Zitat Künasts zum Thema Pädophilie hatte derbste Beschimpfungen von anonymen Kommentatoren nach sich gezogen. Nachdem vom Berliner Landgericht zuerst nur manche der Kommentare als ehrherabsetzend eingestuft wurden, stellte das Bundesverfassungsgericht nun klar: Eine Beleidigung liegt nicht nur dann vor, wenn persönliche Herabsetzung und Schmähung vorliegen. Eine Interessenabwägung muss auch stattfinden, wenn es sich nicht um Schmähkritik handelt.
"Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war es leider der Regelfall, dass die Gerichte gerade bei Politikern und Amtsträgern urteilten, dass diese aufgrund ihrer öffentlichen Funktionen besonders scharfe Kritik erdulden mussten. Dies gipfelte in der hier zugrunde liegenden Entscheidung von Frau Künast, wonach diese sich etwas als 'Stück Scheiße' oder 'Sondermüll' bezeichnen lassen musste. Politiker und Amtsträger leisten einen Dienst an der Gesellschaft und sind daher besonders schützenwert. Dies sieht nun glücklicherweise auch das Bundesverfassungsgericht so und weist die Gerichte an, dies bei der Interessenabwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz zugunsten von Politikern zu berücksichtigen.
Der Umstand, dass das Verfassungsgericht dies bei einer streitbaren, exponierten Bundespolitikern wie Frau Künast so sah, lässt hoffen, dass gerade auch Lokalpolitiker, die teilweise ehrenamtlich arbeiten, einen erhöhten Schutz erfahren. Im Zusammenhang mit Flüchtlings- und Coronapolitik sahen wir eine weitere zunehmende Verrohung des Umgangstons, sodass ich mir durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gerade für Politiker und Amtsträger, die sich hier engagieren, einen verbesserten Schutz verspreche", erklärt Künasts Rechtsanwalt Dr. Severin Riemenschneider.
Darauf hoffen auf regionale Politiker im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS: "Wenn Menschen sich auf kommunaler Ebene nicht mehr politisch betätigen wollen, weil ihre Familie bedroht wird, dann läuft etwas falsch. Ich denke hier vor allem an den ehemaligen Landrat des Main-Kinzig-Kreises, Erich Pipa. Der wurde wegen seines Engagements für Flüchtlinge bedroht. Als Person des öffentlichen Lebens muss man mehr ertragen - das macht die Situation aber nicht besser. In unserer Gesellschaft entwickelt sich eine erschreckende Verrohung, siehe der Hakenkreuz-Vorfall neulich in Neuhof. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist wichtig - denn Demokratie ist nicht nur Bundestag, auch Lokalpolitiker brauchen einen besseren rechtlichen Schutz", erklärt Sabine Waschke, SPD-Landtagsabgeordnete.
"Wer seine Freizeit, Energie und Kraft für die Gemeinschaft einsetzt und dann Beleidigungen und Häme einstecken muss und sich kaum dagegen wehren kann, der wird auf Dauer nicht mehr als ehrenamtlicher Mandatsträger zur Verfügung stehen. Gerade die kommunale Ebene lebt vom Ehrenamt und es ist schwer, dort Menschen zu gewinnen. Gerade beim Thema Corona kann man in den sozialen Medien bei manchen Leuten nicht mehr rational durchdringen, ein Austausch von Fakten scheint nicht gewünscht - es werden schnell die Parolen herausgeholt. Das Urteil stellt den Diskurs im Internet auf eine solidere Rechtsbasis: Man muss sich nicht alles gefallen lassen. Wenn ich im 'analogen' Leben meinen Nachbarn einen blöden Hund nennen, bekomme ich ein Verfahren und eine Geldstrafe. Die Anonymität im Internet lässt viele anscheinend glauben, dass man dort ungestraft beleidigen darf. Es muss klar werden, dass dem nicht so ist", erklärt Mario Klotzsche, Kreisvorsitzender der FDP Fulda.
"Angesichts der Verrohung im öffentlichen Umgang miteinander ist das Urteil ein wichtiges Zeichen. Als ich auf meiner Facebook-Seite den Kommentar 'Sie gehören vergast, damit Sie mal sehen, wie ein Ofen von innen aussieht!' gesehen habe, musste ich erstmal schlucken. Noch baffer war ich aber, als ich dann von Seiten der Justiz gesagt bekam: 'Es sind ja nur Sie angeschrieben worden, nicht mehrere." Es muss das Bewusstsein etabliert werden: Im Internet darfst du nicht alles! Auch hier in der Region wurde bei Facebook zehnmal eine Fake-Todesanzeige von Walter Arnold gepostet. Da hört der Spaß auf!", erklärt Markus Meysner, CDU-Landtagsabgeordneter. (mau) +++