Keine Lust auf Füllwörter
"Ave Maria": Wie sich ein Fuldaer Redakteur ins Buch "Winnetou III" einschlich
Foto: picture-alliance/dpa, Collage: Matthias Witzel
26.12.2021 / IM WILDEN WESTEN -
"Es ging ein Zucken und Zittern durch seinen Körper, ein Blutstrom quoll aus seinem Mund. Der Häuptling der Apachen drückte nochmals meine Hände und streckte seine Glieder. Dann lösten sich seine Finger langsam von den meinigen – er war tot." Ach, ist das schön traurig!
Rotz und Wasser haben Generationen von Karl-May-Lesern geheult, als Winnetou aus den Armen seines Blutsbruders Old Shatterhand in die ewigen Jagdgründe hinüberglitt. Lang ist’s her. Mit einem der grün gebundenen Bände aus dem Karl-May-Verlag unterm Weihnachtsbaum kann man heute nur noch die wenigsten jungen Leser begeistern. Wenn überhaupt, dann kennen sie Winnetou nur noch aus den 60er-Jahre-Filmen mit dem – rein optisch betrachtet – stilbildenden Pierre Brice und Lex Barker, der beim Nachdenken so schön angestrengt mit den Kieferknochen malmte.
Auch die oben zitierte Sterbeszene Winnetous erschien bereits 1883 – also zehn Jahre vor der Trilogie – in der Erzählung "Im 'wilden Westen' Nordamerikas" zunächst in einer Kölner Familienzeitschrift und wurde unter dem Titel "Ave Maria" im September und Oktober 1890 noch einmal in der Fuldaer Zeitung abgedruckt. Womit wir in unserer kleinen literarischen Abhandlung endlich bei der geheimnisumwitterten Frage angelangt wären: Wie konnte es ausgerechnet ein Fuldaer Redakteur schaffen, sich ins Buch "Winnetou III" einzuschleichen?
Die Abweichungen der beiden Versionen beschränken sich auf die Streichung weniger Wörter. 1883 heißt es "… daß er zusammenbricht und stundenlang besinnungslos liegen bleibt"; 1890 und in der Buchausgabe fehlt das Wort "besinnungslos". In der Kölner Fassung findet sich der Satz: "Aber zu zweien läßt sich eine so beschwerliche und gefahrvolle Entdeckungsreise nicht ausführen." In der Fuldaer Fassung und im "Winnetou III" fehlt das Wörtchen "so". Stilistische Kleinigkeiten. Aber der Gedanke daran, dass auf Karl Mays Schreibtisch die Fuldaer Zeitung lag, als er mit dem "Winnetou" sein Schlüsselwerk verfasste, der hat schon etwas Aufregendes – "wenn ich mich nicht irre, hihihihi!" (Matthias Witzel) +++