Zuwendung und Empathie kann man nicht kaufen

Pflege-Kräfte am Limit - "Der Applaus ist längst verhallt"

Der Fachkräftemangel im Gesundheitswegen hat weiter zugenommen
Archivfoto März 2020: Privat/HJK

30.11.2021 / FULDA - Es wurde geklatscht, gesungen und großer Dank ausgesprochen - die Pflegekräfte, Sanitäter und Krankenhausmitarbeiter wurden im März 2020 von der Bevölkerung in den Himmel gelobt. Sie erhielten Anerkennung und Respekt - für die geleistete Arbeit in der ersten Corona-Welle - und am Jahresende einen Corona-Bonus. Doch hat sich die Lage im Gesundheitswesen verändert und vor allem verbessert? Inmitten der vierten Welle veröffentlichen wir im Folgenden zwei eindeutige Statements:



Susanne Leister, Stationsleitung Station Louise – Herz-Jesu-Krankenhaus Fulda: "Der Applaus ist längst verhallt und war nach meiner Meinung auch viel zu wenig. Die vergangenen Corona-Wellen haben schon sehr viel Kraft gekostet und die Arbeitsbelastung des Pflegepersonals hat im Vergleich zu den ersten Wellen nochmals zugenommen. Gleichzeitig stieg die emotionale Erschöpfung stark an. 

Wir befinden uns nun mitten in der vierten Welle und das macht mir große Sorgen, da Krankenhäuser schon vor der Pandemie ausgelastet waren und der Personal- bzw. Fachkräftemangel nicht erst seit der Pandemie da ist.

Es gibt vielseitige Maßnahmen, um die Arbeitszufriedenheit positiv zu beeinflussen. Dazu gehören explizites Lob, Belohnungen, Wertschätzung des Pflegeberufes in der Öffentlichkeit, kooperatives Arbeitsklima zwischen Pflegenden und Ärzten. Aber all dies reicht nicht aus! Ich hoffe, dass die Erfahrungen aus der Pandemie endlich ein politisches Umdenken bewirken. Ich wünsche mir die Aufwertung des Berufes durch bessere Arbeits- und Lohnbedingungen, aber auch die Einrichtung von Pflegekammern. Es muss langfristig und verlässlich in den Pflegeberuf investiert werden. Außerdem sollte die Gesundheitsfürsorge nicht wirtschaftlichen Gesetzen unterliegen.

Trotz vielschichtigen Auswirkungen der Pandemie zeigt sich auf meiner Station ein Bewältigungsoptimismus. Die soziale Zusammenarbeit ist meiner Meinung nach die stärkste Ressource für die Bewältigung der pandemischen Situation und dies darf nicht verspielt werden durch die oben benannte Problematik."

Samir Al-Hami, Geschäftsführer Gesellschafter des NSC, MVZ und Open MRT: "Der Mangel an Fachkräften im Gesundheitswesen, insbesondere der zunehmende Mangel an Pflegepersonal beschäftigt uns seit Jahrzehnten. Die Akteure haben über das Problem immer nur geredet aber nie nachhaltig Lösungen angeboten. 

Wir haben hier in Fulda vor zehn Jahren mit der Dr. Al-Hami International Academy gezeigt, wie das Problem teilweise gelöst werden kann. Wir haben von der Politik und von den Krankenhausbetreibern nur lobende Wörter, aber keine konkreten Unterstützungen. In meiner Klinik und MVZ versuchen wir seit langem den Pflege-Arbeitsplatz so attraktiv wie uns möglich zu machen. Wir haben z.B. vor drei Jahren die 35 Stunden/Woche bei voller Vergütung eingeführt.

Die Corona-Pandemie hat den Personalmangel im Gesundheitswesen nicht verursacht, sie hat gezeigt und die Menschen vor Auge geführt, was diese Menschen leisten und unter welcher Verantwortung sie im Stich gelassen werden, und zwar nicht nur von den Verantwortlichen im System, sondern auch von der Gesellschaft im Allgemeinen.

Der Respekt vor diesen Berufen und die Anerkennung werden nur dann erkannt, wenn man krank wurde. Außerdem muss man lernen, dass man Zuwendung und Empathie nicht kaufen kann.

Die Pandemie zeigt uns mehr und mehr wie groß die Probleme in der Gesellschaft sind. Auch die Einstellung der Pflegenden zu ihrem Beruf hat sich kontinuierlich verändert. Die sogenannten "Töchter der christlichen Liebe vom heiligen Vinzenz von Paul" finden wir nur noch vereinzelt z.B. im Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda. Heute erwarten Pflegefachkräfte mit Recht mindesten genau so viel Anerkennung und finanzielle Vergütung wie bei anderen adäquaten Berufen.

Die Gesellschaft muss für ihre Gesundheit finanziell mehr aufbringen als nur eine Prämie in Krisensituationen. Der Staat muss z.B. dauerhaft die steuerliche Belastung in Pflegeberufen stark reduzieren und so den Beruf finanziell attraktiv machen." (nb) +++

Susanne Leister
Foto: Herz-Jesu-Krankenhaus
Samir Al-Hami
Foto: Privat

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