"Sehr fragwürdige Aussageentstehung"

Mutter vom Missbrauchsvorwurf freigespochen - Erklärung für Pornokonsum?

Richter Joachim Becker und Patrick Krug
Foto: Finn Rasner

04.11.2021 / FULDA - Der mutmaßliche Missbrauch eines minderjährigen Sohns durch seine Mutter hat das Landgericht Fulda und auch die Öffentlichkeit in den letzten Wochen beschäftigt. Am Donnerstagmorgen ist die angeklagte Mutter vom Gericht jetzt freigesprochen worden, die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Nachdem bereits die Staatsanwältin auf Freispruch plädiert hatte und damit von der Anklage abgerückt war, äußerte auch das Gericht erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage des 19-Jährigen. 


Richter Joachim Becker begründete die wenig überraschende Entscheidung des Gerichts ausführlich. Der Junge war wie seine Geschwister in einer Heimeinrichtung untergebracht, weil sich seine Mutter damals nicht in der Lage sah, sich angemessen um ihre Kinder zu kümmern. Der Sohn hatte sie regelmäßig am Wochenende  besucht und nach seiner Rückkehr in die Einrichtung nie gesagt, dass er nicht wieder dorthin wolle. Schon zu Beginn seiner Pubertät habe er starkes Interesse an Sexualität entwickelt und sich auch verbal mit seinen angeblichen Erfahrungen gebrüstet, hatte seine Erzieherin ausgesagt. Nachdem er sich den W-LAN-Zugang des Heims besorgt hatte, fiel auf, dass er regelmäßig Pornofilme auf seinem Handy angesehen hatte. Mit den bevorzugten Themen dieser Filme konfrontiert, stellen zwei seiner Erzieherinnen ihm die direkte Frage, ob seine Mutter "auch so etwas mit ihm gemacht habe". 

In dieser für ihn peinlichen Rechtfertigungssituation habe er dazu ja gesagt und sei dann bei der Befragung durch die  Polizei dabei geblieben. "Die Entstehung dieser Aussage sieht das Gericht als äußerst fragwürdig an", führte der Richter aus. Die Antwortmöglichkeiten seien ihm quasi vorgegeben und der Missbrauch suggeriert worden. In seiner Befragung sei die ungenügende Qualität und Detailarmut seiner Angaben aufgefallen. Angeblich sei der Missbrauch immer nach demselben Schema F abgelaufen, es gab keine Erklärung des "Vorher und danach", die Konstanz der Aussage sei ungenügend gewesen, deshalb erhärteten sich die erheblichen Zweifel des Gerichts an deren Glaubwürdigkeit.

Warum hat der Junge seine Mutter so belastet?

"Es bleibt die Frage, warum er seine Mutter so bereitwillig belastet hat?", so der Richter. Er habe damals den Bezug zu seiner Mutter bereits verloren, sie habe ihn aus seiner Sicht verlassen, dagegen habe er aber eine starke Bindung an seine Heimmutter entwickelt. Diese habe er nicht enttäuschen wollen und deshalb die angebotene Erklärung als Entlastung für seinen Pornokonsum bejaht. So habe er auch nicht von seinem Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht Gebrauch gemacht. "Das wäre für ihn der schwerere Weg gewesen, denn er sollte ja aussagen, um die Erwartungen seiner Bezugspersonen zu erfüllen. 

Richter kritisiert öffentliche Vorverurteilung und Beschimpfung der Mutter

Zum Schluss fand Richter Becker klare Worte für die schlimme öffentliche Vorverurteilung der Mutter. "Das Sprichwort 'Kein Feuer ohne Rauch' sei hier völlig falsch. Die Berichterstattung in manchen Medien habe dazu geführt, dass die Frau von einem Mob aufgesucht, beschimpft und bedroht worden sei. "Diesen Menschen sei gesagt: Es gilt grundsätzlich die Unschuldsvermutung für jeden Angeklagten!", betonte der Richter. (ci)+++


Fotos: Finn Rasner
Die freigesprochene Mutter und ihre Anwältin

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