Extremläufer Sascha Gramm

Erst Sport, dann Taliban: Begegnung mit Afghaninnen sorgt für Gänsehaut

Traum erfüllt. Die beiden Afghaninnen mit Sascha Gramm
Foto: Privat

04.11.2021 / REGION - Extremläufer Sascha Gramm ist in seinem Leben schon die verrücktesten Rennen gelaufen. Zuletzt war er in Bolivien unterwegs, wo er die größte Salzwüste der Welt durchquerte. Davor lief er auch schon durchs australische Outback, Mosambik, durch die Wüste Gobi oder rund um den Ätna in Sizilien. Bei all diesen Rennen hat er so einiges erlebt und viel gelernt. Über Kameradschaft, die Kunst des Leidens und das Leben. Hier schildert er in unregelmäßigen Abständen seine eindrücklichsten Erlebnisse. Heute erzählt er von zwei starken Frauen, deren Geschichte vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Ereignisse kaum rührender sein könnte.



Es ist Ende Juli 2018 als sich Sascha Gramm auf den Weg in die Mongolei macht. Dort will er in sieben Tagen 250 km durch den mongolischen Teil der Wüste Gobi laufen. "Und wie immer bei so einem Rennen hat man ja keine Scheuklappen auf. Man sieht Land und Leute und lernt natürlich auch die anderen Teilnehmer kennen", sagt Gramm.

Tosender Applaus im Zielbereich

Zwei der anderen Teilnehmer sind junge afghanische Frauen. "Die beiden hatten den großen Traum, einmal an einem westlichen Rennen teilzunehmen", erzählt Gramm. Für diesen Traum riskieren die Zwei sogar ihr eigenes Leben. Die jungen Athletinnen trainieren meist nur nachts, um vor körperlicher Gewalt sicher zu sein. Auch die Flugtickets können Sie nicht selbst buchen, dass übernehmen westliche Unterstützer für sie.

Trotz aller Hürden schaffen es die Afghaninnen in die Mongolei. Für eine der beiden wird ihr Traum aber bald zur Tortur. Am dritten Tag spricht sich im Teilnehmerfeld herum, dass bei einer Afghanin der Fuß eine einzige Blase ist. Die junge Frau kämpft sich trotz der Schmerzen noch ins Etappenziel. Dort warten schon die anderen Teilnehmer auf sie. 230 Läufer aus 49 Nationen plus Organisatoren und Helfer und spenden ihr tosenden Applaus. "Für uns ist das normal, dass man einem Sportler Respekt für seine Leistung zollt. Für sie war das aber unvorstellbar, dass rund 300 Menschen, darunter fast nur Männer, ihr applaudieren. Sie ist daraufhin auch von ihren Emotionen überwältigt zusammengebrochen. Wenn ich heute noch daran denke, bekomme ich Gänsehaut", sagt Gramm.

"Diese Kontraste sind so erschreckend"

Während sie das Rennen in der Folge aufgeben muss, läuft ihre Landsfrau weiter, beendet das Rennen und kehrt voller Euphorie und Glücksgefühle in ihre Heimat zurück. Dort wird sie jedoch schnell vom traurigen Alltag in ihrem Land eingeholt. Nur eine Woche nach ihrer Rückkehr explodiert in ihrem Dorf eine Bombe in der Nähe einer Grundschule. Viele Menschen kommen ums Leben. "Das kann man sich als jemand, der in Frieden aufgewachsen ist, gar nicht vorstellen. Diese Kontraste sind so erschreckend."

Sascha Gramm steht noch heute mit ihr in Kontakt. Sie hat es rechtzeitig vor der Machtergreifung der Taliban aus Afghanistan rausgeschafft und lebt mittlerweile in den USA. Allerdings hat sie keinerlei Kontakt zu ihrer Familie, weiß nicht, wie es ihnen geht und ob sie in Sicherheit sind. "Das ist so schlimm und traurig. Und es macht einem immer wieder bewusst, dass es so viel wichtigere Dinge als Sport gibt." (fh)+++

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