Jahrespressegespräch der Justizbehörde

Präsident des Landgerichts bilanziert: Zahl der Bußgeldverfahren verdoppelt

Wer geblitzt wird, beschäftigt immer öfter die Gerichte
O|N-Archivbilder (2)

05.10.2021 / FULDA - Eine geballte Ladung Fakten und Zahlen präsentierte Landgerichtspräsident Dr. Jochen Müller und seine Kollegen, die Richter Patrick Krug und Ulrich Jahn am heutigen Montag den lokalen Medienvertretern im Sitzungssaal 1 des Fuldaer Landgerichts. Natürlich hatte Corona im vergangenen Jahr auch erhebliche Auswirkungen auf den Justizbetrieb, doch gemeinsam habe man die Situation ganz gut gemeistert, bilanzierte Dr. Müller. Mehrere große Verfahren mit vielen Personen habe man in geeignete große Säle  ins Polizeipräsidium und das Bonifatiushaus auslagern können und durch die Anschaffung von Desinfektionsspendern und Luftfilteranlagen und die Etablierung von Homeoffice einen "risikoangepassten Normalbetrieb" aufrechterhalten können. 


Eine signifikante Zunahme an Fällen hatte das Amtsgericht zu verzeichnen. Dort mussten im vergangenen Jahr rund 50 Prozent mehr Bußgeldsachen als im Vorjahr bearbeitet werden. Dieser deutliche Anstieg sei zum einen auf die Zunahme von Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren durch die Einrichtung neuer Geschwindigkeitsmessstellen und zum anderen auf Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der CoVid19-Pandemie zurückzuführen. Da mittlerweile alle hessischen Polizeipräsidien über einen so genannten Enforcementtrailer verfügen und diese mobilen "Blitzeranhänger" auch gezielt an bekannten "Autobahnrennstrecken" einsetzen, werden auch mehr Bußgelder verhängt. Die Gerichte müssen sich in der Folge vermehrt mit Beschwerden und Einsprüchen dagegen auseinandersetzen. "Der Führerschein hat eben für die meisten Menschen eine große Wichtigkeit", konstatierte der Gerichtspräsident trocken.

"Mein Zwillingsbruder ist gefahren!"

Große Kanzleien hätten sich auf solche Widerspruchsverfahren spezialisiert, die Rechtsschutzversicherungen finanzierten die Anwaltskosten, viele Betroffene versuchten mit allen Mitteln, dem Verlust des Führerscheins doch noch zu entgehen. So gebe es in diesem Zusammenhang zum Beispiel auch Dienstaufsichtsbeschwerden oder es werde die Technik der Aufzeichnungsgeräte in Frage gestellt. Damit werde natürlich auch versucht, die Verfahren in die Verjährung zu trieben. "Und die Identitätsfeststellung desjenigen, der zu schnell gefahren ist, gestaltet sich auch nicht immer leicht, es gibt eine Fülle an Erklärungen. Da ist dann der eineiige Zwillingsbruder gefahren, der sich jetzt aber dummerweise in den Staaten aufhält", berichtet Dr. Müller. Bei einem spektakulären Verfahren habe ein Kleintransporterfahrer bestritten, derjenige auf dem Radarbild zu sein, was sogar ein anthropologisches Gutachten erforderlich machte. Schließlich habe der Fahrer zugegeben, beim Fahren eine Maske getragen zu haben. Offenbar skurrile Folgen einer auf Mobilität ausgelegten Gesellschaft.

Auch die juristische Aufarbeitung des sogenannten "Dieselskandals" beschäftigt das Landgericht nach wie vor. Neben rund 210 neuen Klagen gegen Fahrzeughersteller aus dem VW-Konzern, die mittlerweile oftmals auch andere Motormodelle als das ursprüngliche Modell EA 189, das Gegenstand der bisherigen höchstrichterlichen Entscheidungen war, zum Gegenstand haben, richten sich im Jahr 2020 eine merkliche Zahl von rund 60 Verfahren gegen die Daimler AG. Seit 2018 waren somit deutlich über 800 Klagen, deren Gegenstand der "Dieselskandal" war, am Landgericht Fulda anhängig. Das bedeutete eine erhebliche Zusatzbelastung sowohl für die Richterinnen und Richter in den Zivilkammern als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweiligen Serviceeinheiten.

Immer noch sanierungsbedürftig: was wird aus dem Behördenzentrum?

Dr. Müller beleuchtete auch das leidige Thema des sanierungsbedürftigen Behördenzentrums. Inzwischen liege immerhin eine strukturierte Planung mit einem Bauzeitenplan und der Bestellung eines Koordinators am Landgericht vor. "Es handelt sich um eine äußerst komplexe Planung, die nicht nur mit Amts- und Landgericht sowie der Staatsanwaltschaft drei Behörden betrifft und im laufenden Betrieb umzusetzen ist, sondern inzwischen weit über die ursprünglich angedachte Sanierung der Putzschäden und Wasserleitungen hinausreicht und sowohl eine vollständige Modernisierung, zu der auch die vollständige Erneuerung der IT-Verkabelung im Hinblick auf die Einführung der elektronischen Akte, eine energetische Sanierung, die Schaffung eines zentralen Eingangs Am Rosengarten gehören, als auch die Deckung zwischenzeitlich weiteren Raumbedarfs umfasst." Die Staatsanwaltschaft soll dauerhaft in den Räumen des Finanzamtes im 2. Obergeschoss untergebracht werden, Amts- und Landgerichte einschließlich der Sozialen Dienste der Justiz sollen unter Einschluss der bisher von der Staatsanwaltschaft genutzten Räume den Justizflügel nutzen. Mit einer Fertigstellung aller notwendigen Baumaßnahmen sei nicht vor Ende 2027 zu rechnen. Die Sanierung könne frühestens Ende 2023 mit dem Auszug des Finanzamts beginnen. 2024/2025 sollen die Räume des Finanzamtes vollständig saniert werden. Ende 2025 können dann Staatsanwaltschaft dauerhaft sowie Amts- und Landgericht interimsmäßig die Räume im Finanzamtsflügel beziehen. Von Anfang 2026 bis Mitte 2027 soll dann der Justizflügel saniert und modernisiert werden. Der Rückumzug der Gerichte soll dann Ende 2027 erfolgen. (ci)+++

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