"Mann im Mutterland"

Ganz stark: Helmut Kopetzky liest aus seinen Nachkriegserinnerungen

Helmut Kopetzky las am Samstagabend aus seinem Buch "Mann im Mutterland".
Fotos: Henrik Schmitt

27.09.2021 / FULDA - Aufwühlend, aber gleichzeitig kurzweilig und unterhaltsam: Mit diesen Worten lässt sich am ehesten ein kultureller Leckerbissen beschreiben, zu dem am Samstagabend etwa 100 Interessierte ins Forum des Kanzlerpalais am Platz Unterm Heilig Kreuz in Fulda kamen. Eingeladen hatte das Vonderau Museum zu einer Lesung mit Helmut Kopetzky. Diese fand im Rahmen der Interkulturellen Woche statt und war Teil des Begleitprogramms zur Jubiläumsausstellung "Als die Demokratie zurückkam – 75 Jahre Verfassung in Hessen und Fulda".



Die Schau lege besonders auch den Blick auf die Herausforderungen nach dem Kriegsende hier in Fulda, sagte Museums-Mitarbeiterin Katja Galinski bei ihrer Begrüßung. "Millionen Deutsche haben nach dem Krieg ihre Heimat verloren und die Erfahrung von Flucht und Vertreibung gemacht. Allein im Jahr 1946 400.000 Heimatvertriebene nach Hessen – vor allem Sudetendeutsche, ehemalige deutsche Einwohner aus Böhmen, Mähren und Schlesien."

Eben an jene Zeit erinnert das autobiografische Buch "Mann im Mutterland. Erzählung vom endlosen Nachkrieg" von Helmut Kopetzky, das vor Kurzem in die Bibliothek des Berliner Dokumentations-Zentrums "Flucht – Vertreibung – Versöhnung" aufgenommen wurde. Kopetzky wurde 1940 in der Stadt Mährisch-Schönberg geboren und kam als Fünfeinhalbjähriger mit seiner Mutter 1946 nach Fulda. Er arbeitete zunächst als Redakteur bei der Fuldaer Zeitung und lebte dann viele Jahre als Funk- und Fernsehjournalist in Berlin. Als Feature-Autor erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Seit 2005 lebt der heute 81-Jährige wieder in der Barockstadt.

Zum Inhalt des Buches: Die Mutter, Liebling einer mährischen Provinzstadt, Angehörige der deutschsprachigen Oberschicht, verliert beim deutschen Angriffskrieg auf die Sowjetunion zwei Ehemänner. 1946 rollen 1.646 Güterzüge aus der Tschechoslowakei nach Westen. Mit hunderttausenden Sudetendeutschen werden Kind und Mutter deportiert. Ohne Ansehen und Status in der neuen Heimat lebt die Doppelwitwe 60 Jahre lang allein, tapfer gegen ihre Schwermut ankämpfend. Der Sohn – also Kopetzky selbst – soll als Ehemann-Ersatz ihre Nachkriegsschmerzen heilen. In dessen Lebensplanung ist jedoch kein Raum für solche Tagträume ("Mein Sohn gehört zu mir"). Nach seiner Heirat brechen in der Mutter-Sohn-Beziehung jahrelange Grabenkämpfe aus. Kein Friedensschluss bis zum bitteren Ende. Ein Text von großen Kriegen, familiären Schlachtfeldern und dem Leben im Schatten einer "Eisernen Witwe".

Wie gebannt hängen die Zuhörer an diesem Abend an den Lippen des Autors, der den Text mit seiner wunderbar sonoren Radiostimme vorträgt. Begleitet wird er dabei von dem Berliner Jazzmusiker und Komponisten Bardo Henning, der aus der Metzger- und Biergarten-Dynastie "Drei Linden" in Fulda-Neuenberg stammt, am Klavier und am Akkordeon mit eigens für diesen Abend geschriebenen Stücken. "Die neue Form, einem Text zu Leibe zu rücken, ist für uns beide – und ich glaube auch für Fulda – eine Premiere", sagte Helmut Kopetzky vor der Lesung gegenüber OSTHESSEN|NEWS. "Text und Livemusik kommentieren einander in stetem Wechsel und bilden so ein Ganzes." Im Übrigen sei der Abend "eine Art Sturzgeburt. Wir hatten nur einen einzigen Durchlauf im Forum. Alle Proben davor fanden am Telefon statt. Bardo in Berlin, ich in Fulda."

Nach etwa einer Stunde Lesedauer spendete das sichtlich bewegte Publikum langanhaltenden und herzlichen Applaus. Kopetzky: "Das ist schon ein sehr persönliches und forderndes Buch, ich weiß. Aber ich kann die Sache doch nicht einfach rund machen und die Kanten abschleifen, sondern muss es schließlich so erzählen, wie ich es erlebt habe." (mw) +++

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