Wanderung von Thüringen nach Hessen

Bundespräsident Steinmeier: "Wir haben uns voneinander entfernt"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: „Wir haben uns voneinander entfernt und müssen uns wieder annähern.“
Fotos: Hendrik Urbin

12.07.2021 / WANFRIED - Großer Tag für die Menschen in Völkershausen. In dem kleinsten Stadtteil von Wanfried im nordhessischen Werra-Meißner-Kreis weilte am Sonntag hoher Besuch. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war gemeinsam mit zwei Besucher-Gruppen und Thüringens Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) vom thüringischen Heldrastein über die Landesgrenze nach Hessen gewandert. Dort wurde die Entourage von Regierungschef Volker Bouffier (CDU) empfangen. Steinmeiers Wanderung ist Teil der "#schrittfuerschritt"-Tour, die das 65-jährige Staatsoberhaupt durch weite Teile Deutschlands führt.



"Wir haben uns voneinander entfernt und müssen uns wieder annähern", sagte der Bundespräsident. Beim Wandern seien gute Gespräche möglich. Die hätten in der Pandemie gefehlt, denn gerade während Corona hätten viele Diskussionen zu Ärger und Entfremdung geführt. "Ich muss wissen, wie die Stimmung bei den Menschen ist. Deshalb gehe ich mit Bürgern aus allen Bereichen des Lebens wandern."

Erst sprach der Bundespräsident mit "Corona-Helfern": Ärztinnen, Pflegerinnen, Mitarbeitern von Impfzentrum, Corona-Testzentrum und Supermarkt. Die zweite Wandergruppe stand unter dem Motto "Leben an der Grenze". Mit dabei: Unternehmer, Kommunalpolitikerinnen, Zeitzeugen, Zollfahnderinnen, ehemalige Grenzschützer und Armeeangehörige.

Am Rittergut Völkershausen trafen Steinmeier, Bouffier und Ramelow auf sechs Schüler aus den Klassen 9, 10 und 11 - aus Hessen und Thüringen. Die Spitzenpoltiker nahmen sich mehr als eine halbe Stunde Zeit und wollten aus erster Hand erfahren, wie der Unterricht in Corona-Zeiten lief, welche Zukunftspläne die jungen Leute haben und wie es um die Digitalisierung in den Schulen steht. "Mir hat der strukturierte Tag gefehlt. Präsenzunterricht hat nicht stattgefunden. Viele konnten wegen schlechter Internetverbindungen nicht am Video-Unterrichten teilnehmen, andere hatten keine Webcam", berichtete ein Schüler. Es sei eine bedrückende Zeit gewesen, der Kontakt zu anderen habe gefehlt.

"Wir werden alles tun, um nach den Sommerferien an jeder Schule wieder Unterricht möglich zu machen. Digitaler Unterricht kann nur eine Ergänzung des Präsenzunterrichts sein", machte der Bundespräsdient klar. Und Bouffier betonte, dass Hessen noch stärker darauf dränge, in Digitalisierung zu investieren. "Vom Digitalpakt, in Hessen allein 500 Mio. Euro, wird zu wenig abgerufen. Hier müssen sich die Landkreises und kreisfreien Städte als Schulträger stärker engagieren, unser Digitalministerium unterstützt dabei." Digitale Inhalte werden den Unterricht nie ersetzten, denn die sozialen Kontakte und die Lehre vor Ort seien unverzichtbar, so der MP.

Bouffier: "Werden Impulse aufgreifen"

Auf die Frage, ob es Einsicht für die Beschränkungen gab, antwortete Svea Weist aus Meinhard-Schwebda: "Viele hatten Angst um ihre Großeltern. Wir haben uns nicht getroffen und haben uns an die Regeln gehalten." Für die Zeit nach der Schule hat der Nachwuchs Berufswünsche, die vom Landwirt über ein Studium bis zum Notfallsanitäter reichen. "Ein großes Problem ist aktuell, dass wir keine Praktikumsplätze bekommen. Viele Unternehmen sind wegen Corona noch sehr zurückhaltend", berichtete Schüler Justus Häßler aus dem thüringischen Treffurt. "Das erschwert die Berufsorientierung stark."

Steinmeiers Bilanz am Ende der Wanderung durch die Grenzregion: "Die Menschen schauen weniger mit Zorn und Groll zurück, sondern mit Zuversicht und Hoffnung nach vorne. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir uns gerade jetzt und mit Blick auf die Sommerferien vernünftig verhalten, damit das Virus nicht mit einer neuen Mutation zurückkehrt."

Der Besuch des Bundespräsidenten sei, so Bouffier, eine große Ehre für das Werratal gewesen: "Das ist ein wunderschöner Landstrich und die Menschen leben gerne hier. Die enge Verbundenheit von Hessen und Thüringen wird hier besonders deutlich." Der Hessen-MP zog am Ende ein positives Fazit: "Wir haben viel über die Sorgen und Nöte der Menschen in der Pandemie sowie über ihre Hoffnungen und Wünsche für die Zukunft erfahren. Die Impulse werden wir aufgreifen. Der Tag war ein wichtiges Zeichen für eine offene Gesellschaft und eine Ermunterung, gemeinsam das Gespräch zu suchen. Das gilt gerade in Zeiten der Pandemie. Und nur, wenn wir weiter besonnen bleiben, können wir den Weg aus der Krise erfolgreich fortsetzen." (Christian P. Stadtfeld) +++

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