Abgehört: Blasenschwäche
"Inkontinenz sollte für niemanden ein Tabuthema sein"
Fotos: Hendrik Urbin
04.09.2021 / FULDA -
Die Harninkontinenz ist noch immer ein Tabu-Thema und trifft vor allem Frauen nach den Wechseljahren. Besonders in der ländlich geprägten Region des Landkreises Fulda beobachtet Prof. Dr. med. Tilman Kälble vom Klinikum Fulda häufige die falsche Scham vor der Blasenschwäche. Manchmal wüssten die Leute auch gar nicht, dass es gute Behandlungsmöglichkeiten gebe, dann werde die Harninkontinenz einfach als "Alterserscheinung" abgetan und akzeptiert. Das ist schade, denn: "Kein Mann und keine Frau muss heutzutage harninkontinent sein." Daher ist es für den Mediziner schwer nachvollziehbar, warum Menschen sich nicht an den Arzt wenden, sondern sich aus Angst und Scham eher gesellschaftlich zurückziehen. "Inkontinenz gehört nicht zwangsläufig zum Alter dazu, man kann sie behandeln und somit Lebensqualität und Selbstbewusstsein zurückgewinnen."
Doch welche Arten der Harninkontinenz gibt es überhaupt?
Harninkontinenz bedeutet zunächst, dass ein Mensch nicht mehr in der Lage ist den Urin zu kontrollieren. Somit verlieren die Menschen unwillkürlich Urin. Zum einen gibt es die sogenannte Belastungs- oder Stressinkontinenz. Bei dieser Form verlieren Betroffene beim Husten oder zum Beispiel beim Heben von Gegenständen ungewollt Urin. Bekommt man eher anfallsartigen Harndrang, spricht man von einer Dranginkontinenz.Ursachen der Harninkontinenz
"Gerade Frauen, die mehrere Geburten hatten, haben häufig Schäden des Bandapparates im Becken. Im Alter wird dann das noch stützende Bindegewebe zusätzlich schwächer und die Sensibilität der Harnblase nimmt hormonell bedingt zu. Dies führt dann dazu, dass die Frauen den Urin nicht mehr gänzlich unter Kontrolle haben", so Mediziner Kälble.Prävention fängt früh an
Doch dass es gar nicht erst zu Beschwerden und Einschränkungen kommt, lohnt sich präventives Vorgehen. Professor Kälbles Tipp für Patientinnen: "Nach einer Geburt sollte man unter professioneller Anleitung konsequent Rückbildungsgymnastik betreiben." Merke man nach der Geburt zum Beispiel, dass beim Joggen Urin unwillkürlich abgeht, sollte man sich zum Beispiel an einen Physiotherapeuten wenden. Den Beckenboden schon in jungen Jahren stärken sei das Motto. Auch Abnehmen kann helfen, wieder die Kontrolle über die Blase zurückzugewinnen. Auch wenn dies aus Sicht des Professors ein recht beschwerlicher Weg sei.Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten
Der Leidensdruck ist ein wichtiges Kriterium zur Indikationsstellung einer Operation
Eine Operation sollte man erwägen, wenn ein Patient trotz aller Behandlungsversuche weiterhin Probleme hat. "Der Leidensdruck der Betroffenen ist bei der Indikationsstellung entscheidend. Kann etwa eine Mittvierzigerin und Mutter zweier Kinder keinen Sport mehr treiben, ohne danach eine nasse Hose zu haben, sollte sie über eine Operation nachdenken" meint der Experte. Dabei könne man gerade bei einer Belastungsinkontinenz bei der Frau mit einem kleinen Eingriff in über 90 Prozent der Fälle gut helfen.