Bewegender Vortrag im Online-Format
"Das Leben der Lilli Jahn": Einblick in das Schicksal einer jüdischen Familie

Fotos: Walter M. Rammler
10.06.2021 / FULDA -
Es war ein emotional aufrüttelnder Vortrag: Am Mittwochabend fand eine Veranstaltung in digitaler Form statt, organisiert von der Stadt Fulda und dem Fuldaer Geschichtsverein im Rahmen der Reihe: "Unbekannte Nachbarn. Gespräche zum jüdischen Fulda." Dr. Martin Doerry - Publizist und Buchautor - berichtete vom Leben seiner Großmutter. Er gewährte Einblicke in die Passagen seines Buches "Mein verwundetes Herz - das Leben der Lilli Jahn 1900-1944".
Arbeitserziehungslager: Intensive Briefkorrespondenz mit Familie
1943 wurde Lilli Jahn in das Arbeitserziehungslager Breitenau geschickt. Es folgte eine intensive Briefkorrespondenz mit den Kindern. "Sie hat heimlich viel mehr Briefe geschrieben als eigentlich erlaubt waren. Dabei ist sie ein großes Risiko für die Familie eingegangen", erklärte Doerry. Die Haftbedingungen vor Ort seien alles andere als erträglich gewesen. "Die Ungewissheit, das Eingesperrtsein, die mangelhafte Ernährung - all das belasteten die Häftlinge. Immer mit der großen Frage im Raum, wann endlich die Entlassung naht."Lilli Jahn zu den Kindern: "Meine größte Freude, sind eure Briefe"
Die Sehnsucht nach der Familie sei groß gewesen, wie Lilli Jahn in einem Brief schreibt: "Ich bin nun 14 Tage fort. Ich bin froh, über jeden Tag, der vorbei ist. Ich habe Sehnsucht nach euch und Heimweh. Macht euch aber keine Sorgen." Ihr Appell: Ein regelmäßiger Briefaustausch. Denn es stellte sich für die fünffache Mutter heraus: "Meine größte Freude, sind eure Briefe." Schließlich kam Lilli Jahn im Frühjahr 1944 in das Konzentrationslager nach Auschwitz. "Unter furchtbaren Bedingungen mussten die Häftlinge dort arbeiten. Eine Million Menschen wurden dort getötet", konstatierte Doerry. Im Oktober 1944 erhielten die Kinder dann die traurige Nachricht: Ihre Mutter sei im Juli 1944 verstorben. Das Erstaunliche: Noch vor der Deportation nach Auschwitz gelang es Lilli Jahn, die ganzen Briefe heimlich einer Wärterin anzuvertrauen, die sie letztlich den Kindern übergeben konnte. "Sie hat wahrscheinlich gewusst, dass sie das Ganze nicht aufheben konnte und wie wertvoll die Briefe sind", so der 65-Jährige.Persönliche Einzelfallgeschichte