Gast-Kolumne von Dr. med. Thomas Menzel
Einschätzung zur aktuellen Corona-Entwicklung: Alles wird gut!
Foto: Hendrik Urbin / Carina JIrsch
31.05.2021 / REGION -
Die Dritte Welle läuft aus und eine Vierte ist nicht in Sicht. Die Daten sprechen für sich: Die Zahl der festgestellten Neuinfektionen mit dem Corona-Virus sinkt von Tag zu Tag, gestern waren es 5.426, heute sind es 3.852. Die bundesweite 7-Tages-Inzidenz ist auf 35,2 gefallen und auch der R-Wert, der angibt, wie viele weitere Menschen eine infizierte Person ansteckt, bewegt sich seit bald zwei Wochen unter der wichtigen Marke von 1, am Samstag lag er bei 0,75.
Die aktuellen Zahlen gleichen denen aus dem Oktober 2020. Damals stiegen die Werte dann allerdings steil an und die Zweite Welle begann. Die kalte Jahreszeit stand bevor, in der wir uns überwiegend drinnen aufhalten. Hinzu kam B.1.1.7, die deutlich ansteckendere Variante. Das hat die Übertragung des Virus beflügelt. Nun hoffen wir auf den Sommer, der zumindest an diesem Wochenende ein Gastspiel gibt und vor allem auf die gute und nachhaltige Wirkung der Impfstoffe, die in ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit alle Erwartungen übertroffen haben.
Impfen wirkt
Wir alle freuen uns auf einen unbeschwerten Sommer. Doch die Zeiten sind noch alles andere als unbeschwert. Die Fortschritte im Umgang mit der Pandemie sind zwar unverkennbar, und die Ausgangslage, von der aus wir durch den Sommer in den kommenden Herbst gehen werden, ist fundamental anders als vor einem Jahr. Aber COVID-19 ist längst noch nicht Geschichte.
Krankenhäuser können noch keine Entwarnung geben
In den Krankenhäusern und auf unseren Intensivstationen spüren wir langsam eine leichte Entspannung. Ja, die Dritte Welle hat uns gefordert, aber nicht überfordert. Doch noch immer prägt die Pandemie den Alltag in den Kliniken. Die COVID-Patienten sind jünger als im vorigen Herbst und Winter, denn die Impfung schützt die alten Menschen unterdessen wirkungsvoll, und die jüngeren erkranken ebenso schwer wie zuvor die älteren, benötigen aber länger Hilfe wegen der akuten Erkrankung und der nicht absehbaren Folgeerkrankungen.
Die Autoren schließen daraus, dass das Verhalten der Patientinnen und Patienten, die aus Sorge vor einer COVID-Infektion nicht zum Arzt oder ins Krankenhaus gekommen sind, für den Rückgang der Behandlungsfälle eine deutlich größere Rolle gespielt hat, als die aktive Absage von Behandlungen durch die Krankenhäuser. Die damit im Zusammenhang stehenden langfristigen Auswirkungen im Hinblick auf den Rückgang bestimmter Leistungsspektren seien derzeit nicht absehbar.
Personal auf den Intensivstationen nach wie vor stark beansprucht
Klar ist dagegen, dass das Personal auf den Intensivstationen seit mehr als einem Jahr noch stärker beansprucht wird als zuvor. Das zeigt Wirkung: Selbst wenn nur jeder sechste Mitarbeiter – wie aktuelle Befragungen nahelegen – wegen der starken Belastung ausscheiden sollte – und wir sprechen hier über hochqualifiziertes Personal, dem auf dem Arbeitsmarkt die Türen weit offen stehen, – dann brechen routinierte Teams auseinander, wie Intensivmediziner warnen, und die Leistungsspitze unserer Maximalversorgung kollabiert. Wir sollten uns ernsthafte Gedanken machen, wie wir dies verhindern können.
Wie es weiter geht ...
Wir wissen, dass das Virus mutiert, aber wir wissen nicht, ob es im in nächster Zeit oder kommenden Herbst gefährlicher und ansteckender werden wird. Eine Vierte Welle ist zwar nicht in Sicht, aber nach wie vor auch nicht ausgeschlossen.
Die richtigen Fragen stellen
Wir können aus dem bisher erlebten lernen – für die Akutversorgung kranker Menschen, für die Optimierung der Impfstrategie und für die Prävention einer neuen Welle.
(1) Wie haben sich bestimmte Diagnose- und Behandlungsstrategien bewährt?
(2) Gibt es lohende Best-Practice-Beispiele für die lokale, regionale, überregionale und internationale Zusammenarbeit im Umgang mit der Pandemie?
(3) Welche Impfstrategie hat sich bewährt – von der Beschaffung der Impfstoffe über ihre Verteilung bis hin zur Verabreichung?
(4) Was wissen wir über die Verbreitung des Virus in der Bevölkerung? Welche Gruppen tragen mehr, und welche weniger zur Verbreitung bei?
Diese Fragen sollten wir nüchtern und ohne falsche Rücksichtnahme klären. Wir benötigen valide, evidenzbasierte Antworten, die auf Fakten und nicht auf Mutmaßungen oder gar Vorurteilen gründen. Warum zum Beispiel war die Inzidenz in Hessen über lange Zeit in Offenbach sehr hoch, aber auch im Landkreis Fulda? Warum ist oder war sie in Sachsen und Thüringen so hoch? Was machen die Menschen in Münster und Soest anders als in Hamm, Hagen oder Bielefeld? In Münster hatten wir häufig eine Inzidenz von etwa 20, während sie in Hagen um den Faktor zehn größer war. Wo stecken wir uns eigentlich an? Im Bus, in der Schule oder im Supermarkt? Welche Urlauber brachten im vorigen Sommer aus welchen Regionen das Virus mit?
Blick auf den Herbst
Auf einige dieser Fragen sind bereits erste Antworten gefunden. Insbesondere zur Infektiosität von SARS-CoV-2 gibt eine aktuell im Wissenschaftsmagazin Science veröffentliche Studie der Arbeitsgruppe um Prof. Christian Drosten von der Berliner Charité detailliert und kompetent Auskunft. Die Forscher konnten beispielsweise zeigen, dass die höchste Ansteckungsgefahr bereits drei Tage vor Beginn der Symptome besteht – was die Übertragung des Virus stark bevorteilt - und dass hohe Viruslasten am Beginn der Erkrankung häufig mit schweren Verläufen in Zusammenhang stehen.
Wissenschaft hat an Bedeutung gewonnen
Es ist schon bemerkenswert wie schnell in dieser Pandemie die Wissenschaft nicht nur Erkenntnisse gewinnen, sondern auch konkrete Maßnahmen auf den Weg bringen konnte. Damit hat sie ihre Bedeutung in unserer modernen Welt eindrücklich gesteigert. Die sensationell rasche Entwicklung der erfolgreichen modernen Impfstoffe fordert ein Überdenken unserer Haltung zur Gentechnologie geradezu heraus. Das Tor zu einem neuen Schub in den Life-Sciences ist aufgestoßen, und eines gar nicht mehr so fernen Tages werden Impfungen gegen ganz andere Erkrankungen möglich sein.
Dabei sollte zweierlei von vornherein klar sein:
Zum anderen: Wir werden die Zukunft niemals präzise vorhersagen können. Wir entwerfen Szenarien und wagen Prognosen. Wir treffen begründbare und begründete Annahmen, um aufgrund der Wirkungszusammenhänge, die wir kennen, auf "die eine" Zukunft oder eine mögliche andere Zukunft zu schließen, deren Eintreten wir unter bestimmten Annahmen zu erwarten haben werden. Aber wir werden wohl niemals alle Annahmen und Wirkungszusammenhänge kennen und diese richtig miteinander zu verknüpfen verstehen.
Prognosen und Modelle sind wichtig
Wir können also bestimmte Entwicklungen – auch in der aktuellen Pandemie – schon sehr gut voraussagen. Wer Naturgesetze nicht kennt oder gar leugnet, mag dies als Panikmache abtun.
Doch Prognosen bleiben Prognosen. Sie müssen in ihrer Dramatik nicht eintreten, aber sie können auch übertroffen werden. Sich dies stets klarzumachen, gehört zur Ehrlichkeit, ohne die eine vernünftige Debatte nie zu führen ist. Die Wissenschaftler der DIVI und andere haben mit ihren Szenarien, Modellen und Prognosen, nicht Panik geschürt. Sie haben unter zuvor definierten Bedingungen nach begründeten, transparenten Regeln Vorhersagen über mögliche künftige Entwicklungen getroffen. Wenn darunter Vorhersagen waren, die so furchteinflößend waren, dass wir unser Verhalten daraufhin geändert haben, war nicht die Vorhersage falsch, sondern wir waren klug genug, daraus zu lernen.
Das sollten wir zukünftig noch stärker beherzigen – auch für die anderen großen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht. Dann wird wahrscheinlich auch nicht alles gut….aber vieles besser. (Thomas P. Menzel) +++