"Demografische Herausforderungen"
Eine Kirche wird verkauft: Tage des Gotteshauses in Otterbach sind gezählt
Foto: Traudi Schlitt
05.05.2021 / GEMÜNDEN (FELDA) -
"Die Kirche im Dorf lassen!" "Kirchturmdenken", "Heimweh, wenn man den eigenen Kirchturm nicht mehr sieht" – Redewendungen wie diese drücken aus, dass die Kirche ein zentrales Element im Leben von Menschen ist. Identitätsstiftend, erinnerungsvoll, heimelig – all das ist die Kirche neben dem Ort der Gottesdienste, der Feierlichkeiten im Lauf eines Jahres und eines Lebens. "Die Kirche im Dorf lassen" – ein Sprichwort, dessen zentrale Botschaft die Unverrückbarkeit derselben als fester Mittelpunkt in einem Ort ist. Nun wird im Evangelischen Dekanat Vogelsberg erstmals eine Kirche verkauft, die Kirche von Otterbach.
Der Kirchenvorstand der Evangelischen Katharinengemeinde Gemünden hat eine traurige, eine unbeliebte Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung jedoch, an der angesichts der demografischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft kein Weg vorbeiführte, wie Pfarrerin Ursula Kadelka nun bekannt gibt. "Der KV-Beschluss ist trotz aller emotionaler Last mutig, verantwortungsbewusst und zukunftsgewandt", so Kadelka, die in ihrer Kirchengemeinde neben der Otterbacher Kirche noch fünf weitere Gotteshäuser zählt: in Nieder-Gemünden, Burg-Gemünden, Hainbach, Elpenrod und Bleidenrod stehen Kirchen, dazu kommen das Gemeindehaus in Nieder-Gemünden und ein angemietetes Gemeindehaus in Burg-Gemünden. Für dieses allerdings wurde der Mietvertrag bereits gekündigt, die Chorproben, die dort stattgefunden haben, werden – sobald sie wieder möglich sind – ins Gemeindehaus nach Nieder-Gemünden verlegt.
Kirche bleibt als Gebäude erhalten
"Als Kirchengemeinden müssen wir für alle Gebäude, die in unserem Besitz sind, Substanzerhaltungsrücklagen in den Haushalt einstellen, und dennoch würden uns mögliche Renovierungsmaßnahmen vor größte Probleme stellen – zumal bei dieser Anzahl an Gebäuden", begründet Kadelka diesen Schritt."Müssen uns der Realität stellen"
"Natürlich sind wir alle traurig, dass wir uns nun tatsächlich von einer Kirche trennen" - das spürt die Pfarrerin selbst und das weiß sie auch aus zahlreichen Gesprächen mit Gemeindegliedern. Und auch der Kirchenvorstand hat es sich mit der Entscheidung nicht leichtgemacht: "Es fiel uns allen schwer, aber wir müssen uns den Realitäten stellen." Und diese sind ein gravierender Umstrukturierungsprozess in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), der sich natürlich bis in die Kirchengemeinden niederschlägt: Sinkende Mitgliederzahlen, dazu starke Einbußen bei den Kirchensteuereinnahmen, befeuert durch die Corona-Pandemie, haben dazu geführt, dass die Landeskirche bis zum Jahr 2030 140 Millionen Euro einsparen muss. "Der Prozess hat nicht erst begonnen, wir sind schon mittendrin", so die Pfarrerin, die darauf hinweist, dass die Kirchengemeinde in den letzten 14 Jahren bereits zwei halbe Pfarrstellen eingebüßt hat.Umwidmung am 1. Juli - Abschiedsgottesdienst am 23. Mai
Dr. Dorette Seibert, Dekanin des Evangelischen Dekanats Vogelsberg, bezeichnet den Verkauf des Kirchengebäudes als mutig: "Wenn die Unterhaltung eines kirchlichen Gebäudes hauptsächlich eine finanzielle Last für eine Gemeinde bedeutet, dann ist es m.E. die richtige Frage, ob sich das Gemeindeleben vor Ort und gemeinsam mit der Nachbarschaft nicht lebendiger gestalten lässt - ohne dieses Gebäude und die Ressourcen, die es bindet. Diese Frage werden sich unsere kleiner werdenden Gemeinden alle stellen müssen. Dass die Katharinengemeinde offen und realistisch ihren Gebäudebestand unter die Lupe genommen hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, sich von der Kirche in Otterbach zu trennen, finde ich mutig und am Ende auch gemeindedienlich."Doch nicht nur wirtschaftliche Gründe führten zu dem Verkauf der Kirche in Otterbach. Schon längst ist es einer einzigen Pfarrperson nicht mehr möglich, an einem Sonntag alle sechs Gottesdienstorte zu bespielen; die Frage ist auch, wie sinnvoll es ist, da die Gottesdienstbesuche mehr und mehr zurückgegangen sind. "Wir stellen fest, dass Gottesdienste, die wir aufwendiger planen und mit mehr Menschen gemeinsam durchführen, ansprechender sind und die Menschen sehr gut erreichen. Und genau darum geht es doch." Nichtsdestotrotz werden auch in Otterbach zukünftig noch Gottesdienste stattfinden: im Dorfgemeinschaftshaus. Hier dürfte die Atmosphäre zwar deutlich anders sein als in dem kleinen Kirchlein, aber einen Gottesdienst machen ja auch die Menschen aus, die ihn gemeinsam feiern.
Die Kirche in Otterbach wird zum 1.7. dieses Jahres umgewidmet. In einem Abschiedsgottesdienst am 23. Mai um 14 Uhr können die Gemeindeglieder zuvor noch einmal gemeinsam feiern. (pm) +++