Klinikum-Vorstand in großer Sorge!

"Wir haben noch nie so viele Intensivpatienten mit COVID-19 behandelt"

Die Corona-Pandemie stellt das Klinikum Fulda vor große Herausforderungen.
Fotos: Hendrik Urbin

18.04.2021 / FULDA - Mehr als ein Jahr hat die Region schon mit dem gefährlichen Coronavirus zu kämpfen. OSTHESSEN|NEWS wollte wissen, wie sich dieses Corona-Jahr auf das Klinikum Fulda (1.100 Betten / 3.000 Mitarbeiter) ausgewirkt hat und traf dafür die Vorstände Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Menzel (58) und Burkhard Bingel (58) zum ausführlichen Gespräch. 



Dr. Menzel ist beunruhigt. Auch wenn die Krankenhäuser in Deutschland noch stehen, das Gesundheitswesen nicht zusammengebrochen ist und kein Mensch von der Beatmungsmaschine genommen werden musste: Die dritte Welle der Pandemie stellt unser Gesundheitswesen vor eine sehr große Herausforderung. Der Klinikchef: "Wir haben die Bewährungsprobe in den deutschen Krankenhäusern bisher gut bestanden. Und darauf können wir auch ein bisschen stolz sein." Corona habe uns auch einiges gelehrt, was auch nach der Pandemie helfen wird.

Doch bis dahin wird noch einige Zeit vergehen. Die dritte Corona-Welle ist im vollen Gange. Der Landkreis Fulda liegt bei den Inzidenzwerten derzeit an der Spitze in Hessen. Besonders die Virus-Mutationen – vor allem die britische Variante B1.1.7 – bereiten große Sorge. Sie seien zum einen viel ansteckender als das Virus in seiner ursprünglichen Form - dem so genannten "Wildtyp", zum anderen zögen sie laut Studien einen schwereren Krankheitsverlauf nach sich und weisen wahrscheinlich eine höhere Sterblichkeit auf.

Und auch das Klinikum Fulda hat schwer mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Wegen Corona hat das Klinikum viele Intensivpatienten, von denen viele so schwer erkrankt sind, dass sie beatmet werden müssen. Dr. Menzel, der das Klinikum nicht nur als Vorstand führt, sondern auch Facharzt für Innere Medizin ist, erklärt: "Im Gegensatz zu den Intensivpatienten, die nach einer Operation auf der Intensivstation sind, müssen die Corona-Patienten deutlich länger beatmet werden. Diese bleiben durchschnittliche zwei bis drei Wochen auf der Station. Normalerweise sind es drei bis sieben Tage." Noch deutlicher wird die Gefahr, die von Corona ausgeht, wenn Menzel von den Patienten spricht, die die Infektion nicht überstehen: "Es ist nach wie vor so, dass deutschlandweit etwa die Hälfte der Patienten, die beatmet werden müssen, nicht überleben." 

Das Klinikum Fulda kommt an seine Belastungsgrenze. Der Klinikchef: "Wir haben noch nie so viele Intensivpatienten mit COVID-19 im Klinikum Fulda behandelt wie in den letzten Wochen." In den vergangenen Tagen waren es im Durchschnitt 18 Patienten, davon drei an der künstlichen Lunge. Über die Ostertage sogar 20.

Das Problem ist nicht die Technik, es ist das fehlende Personal. 


Klar wurde in den vergangenen Monaten mehr denn je: Kapazitäten sind vor allem im Personalbereich limitiert. Das Klinikum habe 2020 die Infrastruktur aufgerüstet: Beatmungsgeräte gekauft, Betten aufgebaut. Es gebe sogar eine Reserve-Intensivstation, die im Notfall in Betrieb genommen werden könne. "Doch der Fachkräftemangel in der Pflege und bei den Ärzten ist jetzt in der Krise noch deutlicher spürbar als zuvor", so Menzel. Einfach zusätzliches Personal für neue Plätze zu akquirieren ginge nicht: "Das Personal gibt es nicht." Bis das anders ist, werden Jahre vergehen. Immerhin: Heute fallen weniger Ärzte, Pfleger und andere Krankenhausmitarbeiter wegen einer Corona-Infektion aus. Bald 70 Prozent der Belegschaft sind bereits geimpft. Und die machen auch nach über einem Jahr im Krisenmodus einen herausragend guten Job. Die hohe Motivation der Mitarbeiter in allen Bereichen, den Patienten die beste medizinische Behandlung zukommen zulassen, ist überall im Klinikum spürbar.

Um Corona trotzdem zu stemmen wird sonst vieles – soweit es geht – heruntergefahren. Credo: Alle anderen Operationen, die Intensivbetten brauchen, müssen wenn möglich vermieden werden. Das OP-Programm sei zeitweise bis zu 40 Prozent reduziert worden. Große Operationen werden aufgeschoben, sofern es medizinisch vertretbar ist. Der Einsatz neuer Gelenke wie Hüften oder Knie muss zum Teil warten. Eng wird es, wenn die Motorradsaison wieder Fahrt aufnimmt, es schwere Unfälle gibt. Diese Trauma-Patienten müssen sofort behandelt werden, können nicht warten. Das wird die Kapazität weiter ausreizen.  

Vorstand Burkhard Bingel, der für die Finanzen zuständig ist, verdeutlicht: "Das wirtschaftliche Ergebnis 2020 ist erwartungsgemäß negativ." Beginnend im März 2020 wurden auf Weisung der Bundesregierung planbare, medizinisch nicht zwingend notwendige Operationen abgesagt und oder verschoben, um für die Corona-Erkrankten entsprechende Kapazitäten zu schaffen. Der damit einhergehende deutliche Leistungsrückgang spiegelt sich im Ergebnis des Geschäftsjahres 2020 wider. Der Fehlbetrag stehe noch nicht genau fest. Bingel weiter: "Eine Klinik kann ausgefallene Operationen nicht ohne weiteres nachholen. Die OP- und Behandlungskapazitäten sind limitiert und können nicht so einfach erhöht werden." Daneben werden durch die Pandemie im Jahr 2020 und auch in diesem Jahr zusätzliche Belastungen und Aufwendungen auf das Klinikum zukommen. Die Ausgleichszahlungen der Bundesregierung helfen, doch sie reichen bei Weitem nicht aus, um die den Verlust auszugleichen, so Bingel.

Die Sorge danach

Wenn Corona vorbei ist, wird sich einiges an anderen Krankheiten angestaut haben, befürchten die Klinik-Chefs. Menzel: "Ich befürchte, dass wir dann viele Patienten mit "aufgeschobenen" Krebserkrankungen sehen werden." Seit Beginn der Pandemie bestehe auch der Verdacht, dass Menschen mit Herzinfarkten und Schlaganfällen nicht in die Krankenhäuser kommen, weil sie Angst haben sich anzustecken. Zumindest in den ersten beiden Corona-Wellen waren deutlich weniger dieser Patienten als üblich in den deutschen Krankenhäusern.

Die große Hoffnung: Dass sich durch voranschreitende Impfungen die Lage in den kommenden Monaten langsam, aber sicher stabilisiert. (Christian P. Stadtfeld) +++

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