Blickpunkt Herz-Jesu-Krankenhaus

"Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben, und gelassener werden"

Der Geschäftsführer des Fuldaer Herz-Jesu-Krankenhauses, Michael Sammet (links), und Chefarzt Professor Bernd Kronenberger
Bildmontage: Martin Engel

23.03.2021 / FULDA - Ein Jahr nach dem ersten Lockdown rollt die dritte Corona-Welle auf uns zu. Ein Jahr, in dem die Kliniken bis an ihre Belastungsgrenzen gestoßen sind. Im Gespräch mit OSTHESSEN|NEWS lassen der Geschäftsführer des Herz-Jesu-Krankenhauses, Michael Sammet, und Professor Dr. med. Bernd Kronenberger, Chefarzt der Inneren Medizin, Gastroenterologie, Hepatologie, Diabetologie und Kardiologie, die letzten zwölf Monate Revue passieren und wagen einen Ausblick.



Mitte März 2020 überschlugen sich die Ereignisse. "Am Mittwochabend meldete die Bild-Zeitung, dass da was Ernstes auf uns zukommt", erinnert sich Professor Kronenberger. "Am Donnerstagmorgen haben wir uns beraten, wie wir reagieren können, und am Freitag kam dann schon der Lockdown." Zum Glück hatte man bei der schweren Influenza-Welle 2018 bereits Erfahrungen mit solchen Notsituationen sammeln können. So wurden in kürzester Zeit eine Covid-19-Station mit 36 Betten eingerichtet, Intensivkapazitäten aufgestockt und weitere Beatmungsplätze geschaffen.

Seither hat sich der Arbeitsalltag im Herz-Jesu-Krankenhaus, das zu einem Klinikverbund mit weiteren Häusern in Hanau und Nordhessen gehört, gewaltig verändert. Nicht dringend notwendige Behandlungen und Operationen wurden zeitweise ausgesetzt. Dass die wirtschaftliche Situation dennoch im grünen Bereich ist, liegt einerseits an dem starken Krankenhausverbund der Vinzenz-Gruppe Fulda, der in den vergangenen Jahren solide gewirtschaftet hat, andererseits an den vielen Notfallversorgungen, die das Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung tagtäglich zu bewältigen hat, sowie am finanziellen Rettungsschirm des Bundes. 

Große Herausforderung für Patienten und Belegschaft

"Durch die erste Corona-Welle im letzten Frühjahr sind wir glimpflich gekommen, weil wir durch andere Länder wie Frankreich oder Italien gewarnt waren und uns einigermaßen gut vorbereiten konnten", sagt Michael Sammet. "Erst mit der zweiten Welle im Dezember wurde es kritisch. Damals mussten wir wegen der Auslastung auf der Intensivstation Patienten mit dem Helikopter in Krankenhäuser im Umkreis von 100 Kilometern fliegen." 

Seit dem zweiten Lockdown im Dezember gilt im Herz-Jesu-Krankenhaus mit wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel werdenden Vätern und in palliativen, medizinisch begründeten Fällen Besuchsverbot. "Das finde ich persönlich ethisch bedenklich", räumt der Geschäftsführer ein. "Wir waren eine der wenigen Kliniken, die lange – wenn auch mit Einschränkungen – Besuche zugelassen haben. Das ist momentan leider nicht möglich. Ich meine: Wenn man hier als Patient liegt und seine Angehörigen nicht sehen darf, ist das belastend und für die Genesung nicht gerade förderlich."

Auch für die rund 1.000 Mitarbeiter ist die Arbeit unter Corona-Bedingungen eine besondere Herausforderung. "Mittlerweile haben etwa 60 bis 70 Prozent einen Impfschutz. Das gibt eine gewisse Sicherheit", sagt Michael Sammet. "Ganz schlimm war es am Anfang der Pandemie, als deren Ausmaß noch nicht abzuschätzen war und wir noch nicht einmal Schutzmasken hatten. Was den Leuten auch fehlt, sind die gemeinsamen Frühstücks- oder Mittagspausen und der Austausch untereinander. Von morgens bis abends mit Corona konfrontiert zu sein, bringt erheblichen Stress mit sich. Die Belegschaft leistet hier seit einem Jahr Außergewöhnliches."

Weit über 200 COVID-19-Patienten sind mittlerweile im Herz-Jesu-Krankenhaus behandelt worden, etwa 20 davon sind verstorben. Professor Kronenberger und Sammet befürchten, dass die dritte Welle nun verstärkt auch die jüngere Generation erwischt. "Unser jüngster Patient war 22 Jahre alt", sagt der Chefarzt. "Und auf der Intensivstation liegt zurzeit ein 52-jähriger Mann." Und der Geschäftsführer meint: "Bislang haben sich vielleicht ein oder zwei Familienmitglieder angesteckt. Durch die britische Mutante, die um ein Vielfaches infektiöser ist, werden es in Zukunft vermutlich alle sein."

Für eine kontrollierte Bekämpfung der Pandemie sei das Impfen die wichtigste Säule. Von daher gesehen, ist die Zulassung von mehreren Impfstoffen und die Wiederzulassung von AstraZeneca für Professor Kronenberger nur folgerichtig. "Wer geimpft ist und sich trotzdem infiziert, der hat einfach einen leichteren Krankheitsverlauf. Solange aber nicht wenigstens 50, 60 oder 70 Prozent der Bevölkerung die schützende Spritze bekommen haben, wird es beim Maske-Tragen, Abstandhalten und Testen bleiben müssen."

"Corona wird nicht in sechs Monaten vorbei sein"

Die Rufe von Einzelhandel, Gastronomie und Kulturschaffenden nach Lockerungen der Lockdown-Maßnahmen können Professor Bernd Kronenberger und Michael Sammet gut nachvollziehen – "denen steht schließlich das Wasser bis zum Hals" –, sie warnen aber davor. "Corona wird nicht in sechs Monaten vorbei sein", so der Chefarzt. "Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben, gelassener werden und uns darüber im Klaren sein, dass COVID-19 unseren Alltag nachhaltig verändern wird, sei es beim Reisen, in den Schulen, bei Großveranstaltungen oder in der Krankenhausstruktur. Aber irgendwann wird sich das Virus abschwächen." Und Geschäftsführer Michael Sammet ergänzt: "Dann lässt man sich gegebenenfalls einmal im Jahr impfen, wie es auch bei anderen Schutzimpfungen der Fall ist." (Matthias Witzel) +++

X