Kommentar von Miriam Rommel
Für die Wirtschaft und die Gerechtigkeit: Schafft die Priorisierungsgruppen ab!
Foto: picture alliance/dpa | Uwe Zucchi
11.03.2021 / REGION -
"Lässt du dich impfen?" Diese Frage dürfte wahrscheinlich jeder von uns mittlerweile mindestens einmal gehört haben. Doch während die Antwort darauf für so manchen noch schwierig zu beantworten sein mag, warten andere sehnlichst auf den Termin für die Spritze(n).
Deutschland zeigt sich grundsätzlich gerne als Weltmeister und Vorzeigestaat. Mit einem Fingerzeig auf andere Länder wird hervorgehoben, was wir besonders gut machen und was bei uns vorbildlich funktioniert. In normalen Zeiten mag dieses Gebaren funktionieren, in einer Krisenzeit wie aktuell, in einer Zeit, in der es darauf ankommt, scheint uns jedoch die ganze Welt zu überholen.
Zuerst das zu lange Abwarten, ob man in den Lockdown gehen sollte, oder lieber doch nicht. (Es könnte Wähler abschrecken). Fazit: Es wurde so lange getrödelt, dass nur noch die gefühlte Endlosschließung von fast allem blieb.
Abgehängt
In Deutschland wurden, Stand Mittwoch, 6,7 Prozent der Gesamtbevölkerung einmalig geimpft. Nicht einmal die Hälfte davon erhielt bisher die für den vollständigen Schutz unerlässliche zweite Spritze. Sieht man sich die anderen Länder an, ist diese Schlagzahl ziemlich mau. Großbritannien: 33 Prozent haben hier die Erstimpfung bekommen, auf den Seychellen sind es sogar 58,1 Prozent. Selbst "Entwicklungsländer" wie Serbien: 15,9 Prozent oder Marokko: 10,7 Prozent haben uns um Längen abgehängt.Nicht ganz verständlich, dass ausgerechnet jetzt von der Bundesregierung wieder auf Prinzipien herumgeritten und streng auf das deutsche Regelwerk verwiesen wird. Obwohl derzeit nur etwa 60 Prozent des gelieferten Impfstoffes überhaupt verimpft wurde und der Rest munter in den Kühlregalen der Bürokratie vor sich hindümpelt, beharrt man auf eine feste Impfreihenfolge. Doch genau das, was Ungerechtigkeit verhindern soll, bereitet diese erst.
Schafft die Priorisierungsgruppen ab!
Schon während die erste Priorisierungsgruppe an der Reihe war, wurde Impfstoff in großem Rahmen zurückbehalten. Für Menschen, beispielsweise in Alten- und Pflegeheimen (auch Mitarbeiter), die sich beim ersten Gruppentermin nicht dazu aufraffen konnten, sich eine Spritze geben zu lassen, wurden Dosen zurückgehalten. Ganz nach dem Motto: Vielleicht wollen sie irgendwann doch. Währenddessen haben bereits zu diesem Zeitpunkt andere verzweifelt auf den Impfstoff gewartet.Es gibt so viele Gruppen, die keine Lobby haben (und damit übergangen werden), so viele Einzelschicksale, denen die Priorisierungsgruppen einfach nicht gerecht werden. Und überhaupt: Wenn die Wirtschaft schnellstmöglich angekurbelt werden soll, müssten dann nicht eher gerade die Jüngeren zügig geimpft werden?
Es ist wie immer: dass einzige, auf was selbst in diesen Zeiten Verlass ist, ist die deutsche Bürokratie. Anstatt sich darüber Gedanken zu machen, zumindest die 40 Prozent des auf Eis liegenden Impfstoffes an die breite Masse zu verteilen, berät die Bundesregierung lieber darüber, welche Strafe für denjenigen angemessen ist, der sich eine übriggebliebene Impfdosis sichert. (Miriam Rommel) +++
Archivbild: Carina Jirsch