Gewalt gegen Einsatzkräfte nimmt zu

Kriminalstatistik 2020: Höchste Aufklärungsquote von Straftaten aller Zeiten

Landespolizeipräsident Roland Ullmann
Fotomontage: Hendrik Urbin

05.03.2021 / WIESBADEN - Die Sicherheitslage in Hessen wird von Jahr zu Jahr signifikant besser. Das gaben der Hessische Innenminister Peter Beuth, Landesolizeipräsident Roland Ullmann und LKA-Präsidentin Sabine Thurau am Freitag in einer Pressekonferenz bekannt. Wie sich zeigt, hat Corona nur wenig Auswirkung auf die Kriminalstatistik. Immerhin ist die Quote der Aufklärung von Straftaten auf dem historisch höchsten Stand.


Mit genau 342.423 Straftaten wurden 22.410 Fälle weniger gezählt als noch im Vorjahr (- 6,1 Prozent). Das ist der niedrigste Wert seit 1980. Die Kriminalitätsbelastung ist mit 5.446 Straftaten pro 100.000 Einwohner ebenfalls weiter gesunken (2019: 5.823). Die Gefahr, in Hessen Opfer von Kriminalität zu werden, ist damit auf einem historischen Tiefstand. 65,5 Prozent der polizeilich bekannt gewordenen Straftaten wurden letztes Jahr aufgeklärt. Das ist nach 2019 (65,2 Prozent) erneut der mit Abstand höchste jemals gemessene Wert, seit Einführung der Kriminalstatistik im Jahr 1971.

Der hessische Innenminister Peter Beuth dankte anlässlich der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2020 Landespolizeipräsident Roland Ullmann stellvertretend für alle Polizistinnen und Polizisten für die herausragende Arbeit in einem für die hessische Polizei sehr herausfordernden Jahr. "Auch für die hessische Polizei war das Pandemiejahr 2020 sehr herausfordernd. Trotz dieser erschwerten Bedingungen hat unsere Polizei neue Bestwerte in der Kriminalitätsbekämpfung erzielt.

Durch die notwendig gewordenen Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie kam es im vergangenen Jahr zu Aufgabenverschiebungen für die hessische Polizei. So gab es 2020 deutlich weniger Groß-Veranstaltungen wie beispielsweise Konzerte, Fußballspiele oder Versammlungen, die begleitet werden mussten. Allerdings unterstützten die Beamtinnen und Beamten die originär zuständigen Gesundheits- und Ordnungsämter bei Maßnahmen zur Einhaltung der Corona-Verordnungen oder begleiteten verstärkt Demonstrationen.

Für die hessische Polizei stand bei festgestellten Verstößen stets der persönliche Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern im Vordergrund, was in vielen Fällen zu Akzeptanz und Rücksichtnahme führte. Im Zeitraum vom 18. März 2020 bis 28.02.2021 mussten dennoch 19.753 Ordnungswidrigkeiten im Zuge der Amtshilfe allein von der Polizei aufgenommen werden. 67 Prozent hiervon entfielen auf Verstöße gegen die geltenden Kontaktbeschränkungen, rund 16 Prozent auf das Nicht-Tragen eines Mund-Nase-Schutzes, neun Prozent auf Missachtung der geltenden Ausgangsbeschränkungen sowie vier Prozent auf Verstöße gegen die Betriebsbeschränkungsverordnung.

Trotz Corona-Lockdown: Nur leichter Rückgang der Straßenkriminalität

Auch die notwendig gewordenen Corona-Beschränkungen haben dazu geführt, dass Straftaten im öffentlichen Raum sanken. So gab es 56.438 Fälle von Straßenkriminalität und damit 2.203 Fälle weniger (-3,8 Prozent) als 2019. In die Kategorie Straßenkriminalität fällt eine Vielzahl von Delikten, die im öffentlichen Raum begangen werden. Auch Diebstähle (Straßendiebstahl und Ladendiebstahl) fallen beispielsweise hierunter, die im Vergleich zum Vorjahr um 9.674 Fälle und damit um neun Prozent zurückgegangen sind. Raubdelikte, die seit 2011 kontinuierlich zurückgehen, sind 2020 nahezu auf Vorjahresniveau geblieben (2.543 Fällen, -0,3 Prozent). Im Langzeitvergleich ist seit dem Jahr 2000 aber ein Rückgang von rund 50 Prozent und eine deutliche Erhöhung der Aufklärungsquote zu verzeichnen.

Deutlicher Rückgang von Wohnungseinbrüchen 2020

Insbesondere Wohnungseinbrüche sind 2020 – auch mangels Tatgelegenheiten – in Hessen signifikant zurückgegangen. So erfasste die Polizei insgesamt 5.165 Fälle im vergangenen Jahr und damit einen deutlichen Rückgang von 23,7 Prozent (2019: 6.768 Fälle). Auch die Zahl der vollendeten Delikte hat spürbar abgenommen. Nach 3.730 in 2019 drangen im vergangenen Jahr nur noch 2.700 Kriminelle in Hessen in private Wohnungen ein. Mittlerweile scheitert damit jeder zweite versuchte Wohnungseinbruch.

Zunahme der Häuslichen Gewalt

Letztes Jahr wurden insgesamt 10.013 Fälle von Häuslicher Gewalt erfasst. Im Vergleich zum Vorjahr 2019 stellt dies eine Zunahme von 7,7 Prozent dar. Wie im Bund steigen die Zahlen seit 2014 auch in Hessen kontinuierlich an. Dies deutet auch auf ein verändertes Anzeigeverhalten hin, welches auch durch stetig verbesserte Beratungs- und Hilfsangebote für Opfer häuslicher Gewalt flankiert wird. 80 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt waren im vergangenen Jahr Frauen.

"Wer Opfer von häuslicher Gewalt wird, sollte sich umgehend helfen lassen. Die Polizei hat die Möglichkeit, Täter für bis zu 14 Tage der gemeinsamen Wohnung zu verweisen und auch ein Kontaktverbot auszusprechen. Opfer können diesen Zeitraum nutzen, um bei Gericht eine Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz zu beantragen. Platzverweise werden erteilt und durchgesetzt. Trotz Corona-Regeln stehen Hotels und Pensionen für verwiesene Personen zu Verfügung", sagte Landespolizeipräsident Roland Ullmann.

Trotz Corona-Lockdown: Erneut mehr als 4.000 Übergriffe auf Polizisten

Seit vielen Jahren steigen die Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten kontinuierlich an. Die Mehrzahl der für den Polizeialltag typischen Widerstandshandlungen entsteht aus niedrigschwelligen Kontrollsituationen von alkoholisierten Personen bzw. Personengruppen im städtischen Bereich. Obwohl bereits im vergangenen Jahr größere Volksfeste ausfielen oder Gaststätten monatelang geschlossen bleiben mussten, wurden Polizeibeamtinnen und beamte bei Ausübung ihres Dienstes nahezu genauso häufig wie 2019 mit verbalen und körperlichen Angriffen konfrontiert. 4.104 Übergriffe auf die Beamtinnen und Beamten wurden erfasst. 86 Übergriffe wurden auf Rettungskräfte (2019: 112) und 15 auf Feuerwehrleute (2018: 15) registriert.

Internetkriminalität steigt an – Polizei stärkt Cyberkompetenz

2018 und 2019 stiegen die Fallzahlen im Bereich Internetkriminalität aufgrund eines mittlerweile abgeschlossenen größeren Ermittlungsverfahrens deutlich an. Die Anzahl der Straftaten, die mit dem Tatmittel Internet 2020 erfasst wurden, ist nun von 35.606 auf 27.763 Fälle und damit um 22 Prozent gesunken. Der Fünf-Jahres-Vergleich verdeutlicht jedoch, dass die Anzahl der erfassten Straftaten grundsätzlich steigt. Mit über 70 Prozent dominieren
hierbei vor allem Vermögens- und Fälschungsdelikte. Im vergangenen Jahr entstand hierbei ein Vermögensschaden von 17 Millionen Euro.

BAO FOKUS: Entschlossen im Kampf gegen Kinderpornografie in Hessen

Bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung kam es im vergangenen Jahr zu einem Anstieg um 792 Fälle (+ 16,5 Prozent) auf insgesamt 5.595 Straftaten. Die Zunahme in diesem Deliktsbereich liegt insbesondere in einer Steigerung (+ 628 Fälle) des Delikts "Verbreitung pornografischer Schriften" (§ 184 ff. StGB) sowie in der besseren Strafverfolgung sexueller Missbrauchsdelikte an Kindern (§ 176 StGB) begründet, von denen weitere 94 Fälle erfasst werden mussten.

Seit Oktober 2020 bis heute wurden in Hessen 269 Durchsuchungsbeschlüsse für Wohnungsdurchsuchungen und zur Sicherstellung von IT-Geräten seitens der BAO FOKUS vollstreckt. Den Beschuldigten wird dabei immer wieder der Erwerb und Besitz von Kinder- und Jugendpornografie oder der sexuelle Missbrauch von Kindern vorgeworfen. Hierbei wurden insgesamt 296 PCs und Notebooks, 29 Spielekonsolen, 654 mobile Endgeräte (Smartphones, Mobiltelefone, Tablets) sowie 129 Festplatten, 789 externe Speichermedien und ca. 4.327 optische Datenträger (CD, DVD, Blu-Ray) sichergestellt. Zudem konnten fünf Haftbefehle vollstreckt werden. Schon im Oktober konnte ein Sexualstraftäter aus Hessen in Frankreich festgenommen werden, dem sexueller Missbrauch an Kindern in 122 Fällen zur Last gelegt wird.

Politisch motivierte Kriminalität 2020

Für den Bereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) wurden für 2020 insgesamt 2.488 Straftaten registriert. Im Vergleich zum Vorjahr mit 1.638 Straftaten bedeutet dies einen Anstieg um 850 Fälle (+ 52 Prozent). Am stärksten nahmen Straftaten im Bereich der PMK links zu: Sie haben sich im Jahresvergleich mehr als verdreifacht. Rund neun Prozent aller politisch motivierten Straftaten entfallen auf Gewaltdelikte, die von 86 Straftaten in 2019 auf 223 in 2020 deutlich angestiegen sind. Mehr als die Hälfte dieser Gewalttaten sind der PMK links zuzuordnen. Weitere Schwerpunkte bildeten Sachbeschädigungen (401 Fälle; 16,1 Prozent), Volksverhetzung (343 Fälle; 13,8 Prozent) sowie Beleidigungen (337 Fälle; 13,5 Prozent).

Die Zunahme von Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger setzte sich auch im Jahr 2020 deutlich fort. Nachdem 20 Fällen in 2018 und 83 Fällen in 2019 registriert wurden, stiegen die Straftaten auf 205 Fälle im vergangenen Jahr an. Hauptursache für die Zunahme sind Beleidigungsdelikte nach §§ 185ff. (88 Fälle) sowie die Androhung von Straftaten (55 Fälle). Nach der Ermordung des Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke wurden vermehrt solche Delikte zur Anzeige gebracht.

PMK rechts – BAO Hessen R hat Szene entschlossen in den Blick genommen

Im Bereich der PMK -rechts- sind die Fallzahlen in den vergangenen beiden Jahren deutlich angestiegen. Im Vergleich zum Vorjahr ist eine Fallzunahme von 350 Fällen (+38 Prozent) auf insgesamt 1.270 Fälle zu verzeichnen. Der hohe Anstieg resultiert insbesondere aus einer Vielzahl strafrechtlich relevanter Hasskommentare im Internet, die in Bezug mit dem Tötungsdelikt an Dr. Walter Lübcke 2019 sowie dem Anschlag von Hanau standen. Insgesamt 212 dem rechten Spektrum zuzuordnende Hasspostings wurden 2020 erfasst. Im Vergleich zum Vorjahr (2019: 37 Fälle) stellt dies eine Zunahme von 175 Fällen dar.

Bei rund der Hälfte der Fälle (625) handelte es sich 2020 um sogenannte Propagandadelikte. Dazu gehört die Verbreitung oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Parteien, Vereinigungen oder Organisationen. In etwa einem Viertel der Fälle handelte es sich um den Straftatbestand der Volksverhetzung. Der starke Anstieg der rechtsmotivierten Kriminalität ist im Wesentlichen auf eine deutliche Zunahme von Delikten im Zusammenhang mit Volksverhetzung (+185 Delikte, +57 Prozent) zurückzuführen. Als wesentliche Teilmenge der PMK rechts wurden 128 antisemitische Straftaten registriert und damit 52 Vorfälle mehr, als noch im Vorjahr. Zudem zählt die Kriminalstatistik für das Jahr 2020 neun politisch rechts motivierte Morde auf.

"Das Attentat vom 19.02.2020 in Hanau hat Hessen und ganz Deutschland tief getroffen. Die kaltblütigen Morde sind nicht nur Ziffern in der Kriminalstatistik, sie sind Mahnung und Motivation stetig daran zu arbeiten, dass wir eine weltoffene und freiheitsliebende Gesellschaft bleiben. All jenen, die diese Grundüberzeugungen – aus welchem Motiv auch immer – angreifen oder sie gewaltsam verändern wollen, werden wir mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen", so der Innenminister.

PMK links – Deutlicher Anstieg von Gewalttaten und Sachbeschädigung

Mit 682 gemeldeten Straftaten wurde 2020 für den Bereich der PMK -links- ein massiver Anstieg um 463 Straftaten (+ 211 Prozent) registriert (2019: 219). In Bezug auf die Gewaltdelikte ist ein Anstieg von um 124 auf insgesamt 140 Fälle zu verzeichnen (+755 Prozent). Den deliktischen Schwerpunkt der Gesamtstraftaten bildeten szenetypisch unvermindert Sachbeschädigungsdelikte (289 Fälle) mit rund 42 Prozent. Der Anstieg von Straftaten im Bereich der PMK links liegt in 375 Straftaten politisch links stehender Ausbaugegner begründet, die im direkten Zusammenhang mit dem Ausbaus der BAB 49 (Dannenröder Forst) standen. Bei der Begleitung der Rodungsarbeiten registrierte die Polizei allein 131 Gewalttaten.

"Die Rodungsarbeiten im Dannenröder Forst mussten im vergangenen Jahr von mehr als 2.000 Einsatzkräften pro Tag begleitet werden. Beamtinnen und Beamte wurden bei ihrer Arbeit im Wald mit Zwillen und Feuerwerkskörpern beschossen. Darüber hinaus wurden Wege und Zufahrten mit gefährlichen Krähenfüßen und Nagelbrettern präpariert und damit Verletzungen von Polizistinnen und Polizisten mutwillig und billigend in Kauf genommen. Einige riefen sogar offen zur Gewalt gegen die Beamtinnen und Beamten auf. 450 Straftaten und rund 1.550 Ordnungswidrigkeiten wurden hierbei festgestellt. Mehr als 1.000 Personen mussten in Gewahrsam genommen werden. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen der hessischen Polizei sehr dankbar. Sie haben mit der gebotenen Sorgfalt und Besonnenheit sowie der absolut notwendigen Konsequenz der Radikalität und Gewaltbereitschaft Einhalt geboten und Recht und Gesetz Geltung verschafft", so Innenminister Peter Beuth.


PMK Religiöse Ideologie – von islamistischem Terrorismus geht weiterhin Gefahr aus

40 gemeldete Fälle für das Jahr 2020 im Bereich der PMK -religiöse Ideologie- bedeuten im Vergleich zum Vorjahr ein nahezu gleichbleibendes Niveau (2019: 37). Insgesamt wurden dem Landeskriminalamt in diesem Phänomenbereich neun Straftaten mit angenommenem terroristischem Hintergrund gemeldet. Diese sind überwiegend dem Themenfeld Islamismus/Fundamentalismus zuzurechnen. (Moritz Pappert) +++

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