Ausmisten heißt loslassen
"Hier sieht es aus wie in einem Saustall" - raus mit dem Krempel - eine Kolumne
Handyfoto (2): Gudrun Schmidl
17.02.2021 / REGION - Es ist ein großes Thema unserer Zeit: Ausmisten! Offenbar hat sich die Menschheit derart voll gemüllt, dass immer mehr Buchautoren den "Messies" die Fragen rund ums Ausmisten beantworten, die sie gar nicht gestellt haben. Ratgeber wie "Das magische Aufräumbuch" oder "Du solltest öfter mal ausmisten" überschwemmen den Buchmarkt und sollen uns auf Trab bringen, uns von unserem Krempel zu trennen. Dabei sind gerade Bücher ein klassisches Beispiel für Dinge, die Menschen nur schwer aussortieren können, auch wenn sie seit Jahren ungelesen einstauben. Vielleicht liest man sie doch noch oder ein Lieblingsbuch ein zweites Mal? Die Regale biegen sich. Sollten wir uns also gar keinen Aufräum-Ratgeber kaufen?
Ich selbst muss mir diese Frage nicht stellen, denn ich habe schon regelmäßig ausgemistet, bevor die Japanerin Marie Kondo und ihre weltweit beachtete KonMari-Methode überhaupt geboren wurden. Dabei bin ich weder strategisch vorgegangen, noch habe ich in Projekten gedacht wie von den Expert:innen empfohlen. Niemals habe ich mich selbst gefragt, ob ich mir den Gegenstand noch einmal kaufen würde. Wie in meiner Generation üblich, wurden wir Frauen mit Aussteuer beglückt und besaßen damit Gegenstände im Übermaß.
Eine ganze Armee Bleikristallgläser wartete in der Vitrine, mindestens zweimal im Jahr ausgeräumt zu werden, um frisch poliert ihr weiteres Dasein zu fristen. Jahr für Jahr gab es Schwund durch Glasbruch. Das im Schrank gestapelte 24-teilige "gute Geschirr für besondere Anlässe" wurde aufgeteilt und 12-teilig verschenkt. Überhaupt sollte man Gegenstände, die man doppelt und dreifach besitzt, nicht einfach entsorgen. Es gibt immer jemanden, der es gut gebrauchen kann und sich darüber freut. Eigentlich gibt es für fast alles eine Abnahmestelle und zahlreiche Alternativen zur Mülltonne oder zur Altkleidersammlung. Vieles, was wir nicht mehr brauchen oder was uns nicht mehr passt oder gefällt, lässt sich auf Verkaufsportalen oder auf dem Flohmarkt zu Geld machen.
"Wer die Welt in Ordnung bringen will, gehe zuerst durchs eigene Haus"
"Ein jedes Ding an seinem Ort, erspart viel Zeit und böse Wort"
Allzu oft ist das Gerümpel anderer im Haushalt Anlass für Streitigkeiten. Dennoch sollte man sich hüten, übergriffig die Besitztümer der Mitbewohner zu entsorgen, auch wenn der eigene Aufschrei: "Hier sieht es aus wie in einem Saustall" als Warnung dient. Entrümpeln kann aber eine gemeinsame Aktion für mehr Familienfrieden sein, denn Gerümpel verlangt viel Aufmerksamkeit und versperrt den Blick auf das Wesentliche. Ausmisten schafft neue Freiheit, sich Wichtigerem zuzuwenden. Wer sich jetzt inspiriert fühlt, Schubkästen, die Küchenschränke, den Kleiderschrank, den Dachboden, die Garage oder den Keller auszumisten, sich aber nicht aufraffen kann, sollte sich nicht entmutigen lassen: "Loslassen will gelernt sein". (Gudrun Schmidl) +++