Urteil: Zwölf Jahre für Totschlag!

"Habe meine Ehefrau getötet und das Leben von vielen vernichtet"

Tatort am 3. Mai 2020: Im Haus in der Alsfelder Obergasse (Mitte) spielten sich grauenvolle Szenen ab.
Archivfotos: O|N / Luisa Diegel

06.03.2021 / GIESSEN / ALSFELD - Es war ein Prozess, der seinem Namen alle Ehre gemacht hat: Denn es war ein langwieriger Prozess. In der Mordsache (die Anklage lautete Mord aus niederen Beweggründen) um den nun Verurteilten I. sollte bereits vor Weihnachten ein Urteil gefällt werden. Doch wegen Übersetzungsschwierigkeiten und Antragsfluten vonseiten der Verteidigung zog es sich weitere Wochen in die Länge. Doch nun fällte die fünfte Strafkammer am Gießener Landgericht am Freitag das Urteil: I. wird zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt.



Richterin Regine Enders-Kunze schloss am Freitagmorgen nach dreimonatiger Verzögerung die Beweisaufnahmen, die Plädoyers folgten.

Staatsanwalt Thomas Hauburger will zu Beginn seines Plädoyers noch einmal ins Gedächtnis rufen, dass der Verurteilte so stark mit dem Gipserbeil auf seine Frau eingeschlagen hatte, dass Gehirnmasse ausgelaufen wäre. "Dieser Fakt sollte nicht untergehen." Noch einmal ließ Hauburger in seinem Plädoyer den Abend am 2. Mai 2020 in Alsfeld Revue passieren: Der Streit gegen 21 Uhr, der eskalierte, sodass die Polizei an diesem Abend zum ersten Mal in die Wohnung des Opfers in die Alsfelder Obergasse gerufen wurde. Das Telefonat, dass die Getötete nach dem Einsatz mit ihrem vermeintlichen Geliebten führte.

Das Gericht geht davon aus, dass der Verurteilte dieses mit angehört und dadurch so wütend geworden ist, sodass er dann in die Wohnung der Nachbarin ging, sich die Tatwaffe griff und damit erneut die Wohnung des Opfers betrat. "Wer I. die Tür aufgemacht hat, konnten wir im Prozess nicht klären, das ist aber auch zum guten Schluss egal", so Hauburger. Denn es kommt zum Streit, es wird laut, I. bringt seine Frau zu Boden. Die Abwehrverletzung, die bei der Obduktion beim Opfer festgestellt wurden, waren stark, sodass die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass sich die Frau massiv gewehrt hat. Gegen die Schläge ihres Mannes war sie jedoch machtlos, noch am Tatort erlag sie ihren Verletzungen. Der Verurteilte hat sich daraufhin die drei Kinder geschnappt und wollte in Richtung Bayern flüchten, wo er wenige Stunden später von Polizeibeamten festgenommen werden konnte.

"Er hat Beil mitgenommen, um sie zu töten"

Für Hauburger haben drei Aspekte eine besondere Relevanz: der eigentliche Tatablauf, der Affekt – und was kommt am Ende dabei heraus?

Der Verurteilte hatte zu Beginn des Prozesses die Tat über seinen Anwalt eingeräumt, allerdings äußerte er sich bis zur Beweisschließung nicht zur Tat. So mussten vergangene Woche die drei Kinder, die die Tat wohl mitansehen mussten, vom Gericht erneut zur Tat befragt werden. I. sprach nämlich nach der Tat von Gedächtnislücken, dass er sich an den Vorfall nicht erinnern könne. Danach sagte er dem Sachverständiger allerdings, dass seine Frau ihn mit einem Schuh angegriffen habe und er das Gipserbeil nur deshalb geholt habe, um das Handy des Opfers zu zerstören. Für die Staatsanwaltschaft eine Lüge: "Er geht mit Tötungsvorsatz in die Wohnung. Er hat das Beil mitgenommen, um sie zu töten."

Die bloße Wut und Enttäuschung, über das, was der Verurteilte im Telefonat mit angehört habe, sei für Hauburger kein Mordmerkmal aus niedrigen Beweggründen. "Die Tat ist affektgeladen, es ist aber keine Tat im rechtlichen Sinne." Er plädierte für Totschlag und eine Freiheitsstraße von zwölf Jahren.
 

Kinder sind hochtraumatisiert

Dem schloss sich auch das Jugendamt an, das als Nebenkläger in dem Prozess auftritt – und fügt noch hinzu: "Er hat das umgesetzt, was er vorher schon öfters angekündigt hatte." Dann konnte man im Gerichtssaal eine Stecknadel fallen hören, denn die Nebenklage erzählte vom Zustand der drei Kinder, die hoch traumatisiert seien. "Die Betreuer versuchen, den Kindern normalen Alltag wiederzugeben, doch sie öffnen sich nur sehr langsam." Denn der Verurteilte habe den Kindern ihre wichtigste Bezugsperson genommen. Außerdem sei das Sorgerechtsverfahren für sie äußerst belastend.

Wichtig sei für die Nebenklage, dass die Kinder in einem neutralen Umfeld wohnen: "Nicht zu Verwandten – davon sprechen sie auch nicht. Genauso wenig wie vom Vater." Dieser hätte an Weihnachten den Kindern Post zukommen lassen. "In dem Brief hieß es, wie sehr er seine Kinder vermisst und wie schlecht es ihm gehe. Von Reue keine Spur – genauso wenig wie hier im Laufe des Prozesses."

Die Nebenklage, die die Familie des Opfers vertritt, plädierte auf Mord.

Verteidigung: "Frechheit, von fehlender Reue zu sprechen"

Eine Stunde später plädierte dann auch Verteidiger Roj Khalaf und war zum Teil "sehr verärgert" über die vorigen Plädoyers. Denn laut Khalaf seien die Aussagen über den Abend der Tat alles nur Theorien. "Wir wissen nicht, was passiert ist, wir können nur Vermutungen aufstellen", sagt er. Dem Jugendamt als Nebenklage warf er vor, bewusst mit Emotionen der Beteiligten gespielt zu haben. "Was haben die Ausführungen der Kinder mit dem Verfahren zu tun?"

Sein Mandant habe an dem Abend des 2. Mai 2020 aus einer Kurzschlussreaktion gehandelt. Niemand wisse aber, ob es die Kinder mitbekommen haben. Deshalb solle laut Khalaf auch das, "was wir nicht wissen, nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgelegt werden".

In seinem Plädoyer spricht er sich für I. aus, da er sich bereits zu Beginn geständig gezeigt habe. "Er wollte damit weitere Belastungen für seine Kinder vermeiden." Von Anfang an habe er sich also für das verantwortet, was passiert ist. "Deshalb ist es eine Frechheit, hier von fehlender Reue zu sprechen", so Khalaf in Richtung Nebenklage. Er zeige sich sehr verantwortungsvoll, habe den Mund gehalten, als er vor Gericht beleidigt wurde, er habe immer wieder Tränen vergossen, als von der Tat und seinen Kindern die Rede war. Die Verteidigung plädierte für eine Freiheitsstrafe von neun Jahren und drei Monaten.

I. äußert sich zum ersten Mal: "Erwarte keine Vergebung"

Das letzte Wort hatte I. – was er, zur Überraschung aller, zum Anlass nahm, um sich zum ersten Mal vor Gericht zu äußern: "Das habe ich niemals so gewollt. Ich bereue das Geschehene zutiefst. Ich habe meine Ehefrau getötet, obwohl ich sie sehr geliebt habe und das Leben von vielen vernichtet. Wenn ich könnte, würde ich das Geschehene ungeschehen machen. Ich erwarte keine Vergebung."

Die fünfte Strafkammer einigte sich darauf, den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren zu verurteilen. "Die Wut und Enttäuschung über das Telefonat sind kein Motiv für einen Mord aus niedrigen Beweggründen", erklärt Richterin Enders-Kunze das Urteil. Die Aussage von I., er habe mit dem Beil lediglich das Handy zerstören wollen, glaubt die Kammer ihm nicht. "Das ist eine Schutzbehauptung, so geht man nicht vor, wenn man ein Handy zerstören will." Das Gericht ist sich sicher, dass I. "gewaltbereit in die Wohnung gegangen ist", indem er seine Wut und Enttäuschung über das Telefonat über alles andere gestellt habe.

Zwölf Jahre Freiheitsstrafe heißt es für I. nun - und das auch, weil die Kammer die besonderen Folgen für Dritte berücksichtigt hat. "Denn den Kindern wird diese Tat ein ganzes Leben nachhängen." (Luisa Diegel) +++

Richterin Regine Enders-Kunze

Staatsanwalt Thomas Hauburger.

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