"Haltung und Herz"

Zum 100. von Alfred Dregger: O|N-Interview mit Biograf Dieter Weirich

Alfred Dregger wäre heute 100 Jahre alt geworden. Hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1974.
Foto: picture alliance / dpa - Heinz Wieseler

10.12.2020 / FULDA - Alfred Dregger wäre heute 100 Jahre alt geworden. Anlässlich dieses runden Geburtstags hat das Bonifatiushaus Fulda bereits am Dienstag einen Online-Akademieabend veranstaltet (O|N berichtete). Zu einem Gespräch über den CDU-Politiker waren der ehemalige Fuldaer Landrat Fritz Kramer sowie der Dregger-Biograf Professor Dieter Weirich geladen. Es war eine interessante Runde, in der viele Facetten dieser Politiker-Persönlichkeit beleuchtet wurden. Das 50-minütige Gespräch kann unter dem Link unten abgerufen werden. Lesen Sie hier ein Interview, das OSTHESSEN|NEWS mit Dieter Weirich geführt hat.




O|N: Sie haben in Ihrem Buch "Alfred Dregger – Haltung und Herz" festgestellt, dass die junge Generation mit seinem Namen kaum noch etwas anzufangen weiß. War dies das entscheidende Motiv für die Biografie?

Dieter Weirich: Was die geschichtliche Kenntnis der breiten Bevölkerung und natürlich der Jüngeren angeht, bin ich an Illusionslosigkeit nicht zu übertreffen. Wichtig war für mich, dass zur Wiederkehr seines 100. Geburtstages an diesen bedeutenden Politiker erinnert wird. Auch gibt es bis dato keine Biografie, auch wenn dieses Buch nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Biografie erhebt. Es lebt vielmehr von vielen Anekdoten aus der langen Zeit enger Zusammenarbeit und schildert den historischen Zusammenhang.

Wie und unter welchen Umständen haben Sie sich kennengelernt?

Ich war junger Redakteur, gerade von meiner schwäbischen Heimat ins damals rote Hessenland gewechselt. In Württemberg war ich zuvor schon in der CDU aktiv und im Landesvorstand der Jungen Union Nordwürttemberg. Dregger machte im Bundestagswahlkampf 1969 Station in Hanau, ich bereitete seinen Auftritt medial vor, schrieb die Presseerklärungen, begleitete ihn. "Diesen fixen Jungen sollten wir uns merken", soll er später gesagt haben. So wurde ich zunächst sein persönlicher Referent.

Wie charakterisieren Sie ihn als Mensch und als Politiker?

Er war ein Herr, eine der Mode enthobene Gestalt, wie ein bekannter Publizist feststellte. Er war beherrscht, loyal, beratungsoffen und auch humorvoll. Das Zerrbild seiner politischen Gegner stimmte nicht mit seiner Persönlichkeitsstruktur überein. Als Politiker verband er Charme mit Zielstrebigkeit, hatte das, was man Charisma nennt oder was die Angelsachsen als "chemistry" bezeichnen.

Was waren seine größten politischen Erfolge im Land und im Bund? Was die schmerzlichsten Niederlagen?

Der Erfolgszug 1970 mit dem historischen Erdrutsch und dem Anwachsen von 26 auf fast 40 Prozent und die landespolitische Entscheidung 1974, als die CDU mit über 47 Prozent kurz vor der absoluten Mehrheit blieb, waren seine größten Erfolge, im Bund freute er sich darüber, dass sein Landesverband regelmäßig besser abschnitt als der Rest. Seine schmerzlichste Niederlage war die Landtagswahl 1982, wo die schon sicher geglaubte Übernahme der Verantwortung durch die Bonner Turbulenzen um den Koalitionsausstieg der FDP und die damit verbundene Verratskampagne zunichtegemacht wurde. Noch in der Wahlnacht trat er als Parteichef zurück.

Was waren seine größten Stärken, was waren seine Schwächen?

Seine größte Stärke war der Wille zur politischen Veränderung und seine Kunst, Menschen für seinen Weg zu begeistern. Er war ein Streber im besten Sinne des Wortes, mit dem zweiten Platz gab er sich nie zufrieden. Hinzu kamen Fleiß, Treue zur Sache und zu Personen und Rednergabe. Seine Schwäche war zugleich seine Stärke. Er betrieb keine Truppenpflege in der Partei, Kameraderie war ihm fremd. Als Fuldaer Oberbürgermeister war er über die Dachluke in die Partei eingestiegen, hatte das Taktieren und Finassieren und den Kampf um innerparteiliche Mehrheiten nicht richtig kennengelernt.

Was denken Sie, ist sein politisches Vermächtnis?

Als ein im Krieg schwer verletzter junger Soldat, der später in die Politik ging, war sein entscheidendes Mantra: Nie wieder Krieg. Seinen Söhnen ein Deutschland in Frieden und Freiheit sichern zu können, betrachtete er als große Aufgabe. Die deutsche Einheit, an die er unbeirrbar geglaubt hatte, war für ihn ein Herzensanliegen. Sein Streben gehörte außerdem der europäischen Einigung, für die er sich früh engagierte.

Wie würde er die aktuelle politische Situation in Deutschland und Europa bewerten?

Hypothetische Fragen beantworte ich grundsätzlich nicht, auch will ich einen toten Politiker nicht in Anspruch für eine von mir selbst sehr kritisch gesehene aktuelle Politik nehmen. Auch stehe ich jenen kritisch gegenüber, die sich heute anmaßen, Dreggers politische Erben zu sein.

Was können heutige Politiker von ihm lernen?

Haltung und Herz, so der Untertitel meines Buches. Standfestigkeit, keine Unterwerfung unter den schwankenden Zeitgeist, Beachtung des Dreiklangs: National, ohne nationalistisch zu sein, sozial, ohne sozialistisch zu werden, liberal, aber nicht libertinistisch.

Das Interview wurde geführt von O|N-Redakteur Matthias Witzel. +++

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