So ist die Lage in den Kliniken (2)
Herz-Jesu-Krankenhaus: "Lockdown konnte das Schlimmste verhindern"
Foto: privat
02.12.2020 / FULDA -
Die Corona-Infektionen steigen täglich weiter an. Viele Kliniken sind am Limit, haben kaum noch freie Intensivbetten. Die Situation in den Krankenhäusern ist dramatisch: Keiner weiß, wie sich die Corona-Lage in Zukunft entwickelt. Wir haben in den Kliniken in Osthessen nachgefragt. So ist die Lage aus Sicht von Michael Sammet, dem Geschäftsführer im Herz-Jesu-Krankenhaus in Fulda.
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen erreicht stetig neue Tageshöchststände in Hessen: Droht den Krankenhäusern der Corona-Kollaps?
"Von einem Kollaps würde ich derzeit nicht sprechen, sondern mehr von einer enormen Kraftanstrengung, die auf die Krankenhäuser zukommt. Es herrscht eine immense Belastung in vielen Krankenhäusern in Deutschland und insbesondere auch in Hessen, aber noch keine derartige Überlastung in Form eines Kollaps, wir sind nicht hilflos und arbeiten mit aller Kraft an Lösungen, dort wo Probleme auftreten. In unserer Region können noch alle Patienten aufgenommen und versorgt werden, Notaufnahmen und Krankenhäuser sind weiterhin für die Versorgung Erkrankter offen. Andere Länder und auch Gebiete in Deutschland, wie Italien und das Rhein-Main-Gebiet, sind von der zweiten Welle viel schwerer getroffen worden. Diese müssen unterstützt werden im erforderlichen und angemessenem Maße. Das Gesundheitssystem ist stabil, es muss sich nun nur besonnen den erneuten Herausforderungen (wie im Frühjahr) gestellt werden und die Entwicklungen aufmerksam betrachtet werden."
Immer mehr Kliniken melden Personalengpässe, weil Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfallen oder sich gar selbst mit Corona infiziert haben: Muss notfalls - wie beispielsweise in Bayern oder Bremen - auch infiziertes Personal zum Einsatz kommen?
Wie Gesundheitsminister Spahn ankündigte, entsteht dann genau die Spannung und schwierige Abwägung eventuell auch "krankes" (gar Corona-positiv getestetes) jedoch symptomloses Personal unter der Einhaltung von strengen Schutzmaßnahmen weiterarbeiten lassen zu müssen, was man grundsätzlich vermeiden möchte.
Ein Lichtblick stellt die Impfstrategie dar, wodurch gerade Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von stationären bzw. ambulanten Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, die einem stark erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind, vorrangig zu der zu impfenden Gruppen von Menschen gehören und sich dadurch schützen können."
Die zweite Corona-Welle trifft Hessen hart: Befürchten Sie, möglicherweise die sogenannte Triage anwenden und damit über Leben und Tod entscheiden zu müssen?
"Eine Triage in den Krankenhäusern durchführen zu müssen und damit zu priorisieren, welchen Patienten noch eine medizinische Hilfeleistung gewährt werden kann, wäre sicherlich der worst case und ich hoffe sehr, dass dieser Fall in Deutschland nicht eintreten wird.
Aufgrund des "Lockdown Light" konnte bisher das Schlimmste verhindert werden. Wären diese Maßnahmen nicht eingeleitet worden, hätten wir sehr schnell die intensivmedizinischen Kapaziäten gesprengt, mit dem Risiko, dass in den Krankenhäusern nicht mehr jeder Notfall hätte versorgt werden können. So wird von denjenigen, die die restriktiven Maßnahmen des Lockdowns kritisieren, nicht berücksichtigt, dass COVID-Patienten auf der Intensivstation eine vergleichsweise lange Liegedauer haben und damit über einen langen Zeitraum zusätzliche Betten belegen. Bei immer steigenden Infektionszahlen läuft man damit in eine Sachkgasse. Auf der einen Seite hat man die stark zunehmende Auslastung der Intensivbetten bei gleichzeitig auf der anderen Seite weniger zur Verfügung stehendem Personal aufgrund vermehrter Krankheitsausfälle, da auch Pflegepersonal und ärztliches Personal bei hohen Infektionszahlen entsprechend betroffen ist. "
Die Kliniken stehen auch vor großen finanziellen Herausforderungen: Welche Botschaften und Erwartungen haben Sie an die Politik?
"Es ist bedauerlich und nicht nachvollziehbar, dass der Bundesgesundheitsminister, das sich seit Monaten bewährte gute Versorgungskonzept im Rahmen der Pandemie in Hessen nicht anerkennt und nicht alle Krankenhäuser, die sich maßgeblich an der COVID-Versorgung beteiligen, im Rahmen des neuen Schutzschirmes des Bevölkerungsschutzgesetzes berücksichtigt für eine langfristige wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser. So führen die aktuellen Kriterien im neuen Bevölkerungsschutzgesetz dazu, dass die Erlangung der Freihaltepauschalen nur einem Teil der Krankenhäuser ermöglicht wird und dies auch nur über sehr komplizierte und kaum umsetzbare und planbare Mechanismen.
Zahlreiche Kliniken, welche die medizinische Versorgung von COVID-Patienten und anderer regulärer Non-COVID-Patienten derzeit sicherstellen und Erlösausfälle als auch Mehrkosten haben, sind von den Freihaltepauschalen und weiteren Inhalten des Rettungsschirmes 2.0 damit ausgeschlossen, gehen sozusagen leer aus. Ich hoffe, dass Bundesgesundheitsminister Spahn kurzfristig auf diese Lücken bzw. Mängel reagiert, diese korrigiert und nachjustiert. Was wir Krankenhäuser in dieser Zeit brauchen, sind ebenfalls dringend verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen und eine Absicherung für die Zukunft, denn die Pandemie wird uns auch im nächsten Jahr 2021 stark beeinträchtigen. Neben dem Aussetzen der Pflegepersonaluntergrenzen (PPUG) und der 5%igen MDK-Prüfquote, um nur einige Stichpunkte zu nennen, ist sicherlich der Ganzjahreserlösausgleich 2021 auf Basis der Ist-Erlöse 2019 existentiell für viele Krankenhäuser. Wir, als Krankenhaus, müssen den Raum haben situationsbedingt und zielgerichtet die individuelle Versorgung zum Wohle sowie der Gesundheit der Patienten weiterhin reibungslos zu gewährleisten." (nb) +++
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