Die Pest - Lesen und Musizieren
Bad Hersfeld liest ein Buch: "Um Himmels willen - Nächstenliebe und Hoffnung"
Fotos: privat
31.10.2020 / BAD HERSFELD -
Wegen der Corona-konformen Umsetzung fand die "Heeneser Lesung" in diesem Jahr in der Matthäuskirche statt. Trotz der einschränkenden Pandemie-Gebote war die Veranstaltung ausgebucht – leider wurden aufgrund der an diesem Tag verkündeten weiteren Beschränkungen einige Eintrittskarten nicht genutzt
Moderator Uwe Hohmann und die Lesepaten Martina Völker, Renate Hohmann sowie Ute und Rainer Bätzing befassten sich mit dem Leben des Autors Albert Camus und lasen Passagen seines Romans. Infolge der Pandemie haben wir aktuell Angst vor Infektion und schwerer Krankheit, weiteren Einschränkungen, Verlust von Entwicklungschancen für uns und unsere Kinder. Wir haben Fragen, die Zukunft betreffend. Selbst innerhalb der Lesegruppe gab es Weigerungen, weil der Roman eine zusätzliche Belastung in Corona-Zeiten sei.
Aber Camus bringt in seiner Erzählung einen ungebrochenen Glauben an ein sinnvolles menschliches Handeln im Angesicht einer Katastrophe zum Ausdruck. Der Autor propagiert Liebe und Solidarität – und das hat allemal Gegenwartsbezug.
Roman-Titel als Signal-Wirkung
In der Corona-Krise wird ein "Pest"-Leser, der täglich mit den Meinungen von Virologen und Politikern medial geimpft wird, den Roman auf Ähnlichkeiten hin studieren. Bereits der Titel hat ja eine solche Signalwirkung. Bei Camus und auch heute ähnelt sich der Ablauf. Zuerst wird aus falscher Gleichgültigkeit oder panischer Angst abgewiegelt: "Da ist nichts!" In der ausufernden Katastrophe werden flammende Lobreden gehalten auf alle Helfer.Nächstenliebe und Hoffnung
Der Arzt Rieux kämpft gleich dem sagenhaften Sisyphos gegen die Pest an. Damit ist eine Arbeit gemeint, die so umfangreich und kompliziert ist, dass sie niemals erledigt sein wird. Passagen aus den zwei Predigten des Paters Paneloux wurden gelesen. Auch der Geistliche muss erkennen, dass er nicht in das Herz Gottes sehen kann. Die Roman-Figur Tarrou engagiert sich politisch und gründet einen freiwilligen Sanitätsdienst.Kammermusik-Duo mit e-Piano und Violine
Renate Bennedik und Roswitha Zimmermann schenkten mit ihren Musikinstrumenten diesem Leseabend im kirchlichen Raum eine besondere Atmosphäre des Hörens und persönlichen Nachdenkens. Zu den Stücken "Saint James Infirmary Blues" und "Ach, ich habe sie verloren" (aus "Orpheus und Eurodike") gab Renate Bennedik den Zuhörern fachlich eine atmosphärische Erläuterung in die Gedanken der Komponisten und den gewollten Ausdruck ihrer Musik. Bei der Meditation aus der Oper "Thais" konnten die Zuhörer sich beruhigen und innerlich sammeln.Weihnachten und "Sieg über die Pest"
Weihnachten ist in diesem Roman eher das Fest der Hölle als das der frohen Botschaft des Evangeliums. Aber es gibt – dank eines Serums – auch die ersten Überlebenden. Während die Menschen ihre Befreiung von der Pest feiern, weiß der Arzt Rieux, dass der "Sieg" nur vorläufig ist, "dass der Pestbazillus niemals ausstirbt oder verschwindet". Da klingt die immer mitschwingende zweite Bedeutungsebene des Romans an: Die "braune Pest" – auch das passt in die heutige Zeit.Das erwarteten auch wir von Corona
In seinem Schlusswort wies Moderator Uwe Hohmann darauf hin, dass wir ab Mai dieses Jahres auf ein Ende der Corona-Pest gehofft hatten und nun wieder nach der Dauer dieser Epidemie fragen. Dazu zitierte er den Arzt Rieux: "Ich kenne nur eine einzige Pflicht, und das ist die Pflicht zu lieben." Genau deshalb stand dieser Leseabend unter der Überschrift: "Um Himmels willen – Nächstenliebe und Hoffnung". (pm) +++