Kommentar von Hans-Hubertus Braune

Lolls ist ein Lebensgefühl: Bundesweiter Flickenteppich heizt Diskussionen an

In diesem Jahr wird das Fierche nicht entzündet. Auch wenn sich die Gärtner Mühe gegeben haben, sind viele Lollsfans enttäuscht, dass ihr geliebtes Heimatfest ausfällt
Foto: Kevin Kunze

12.10.2020 / BAD HERSFELD - Das Lullusfest in Bad Hersfeld fällt in diesem Jahr aus. "Na und", werden sich einige Menschen denken. "Gefühlt fällt seit Beginn der Corona-Pandemie doch alles aus. Ein Volksfest mehr oder weniger juckt doch auch nicht mehr." Nein, das Lullusfest ist weit mehr als nur ein Sauf-Treffpunkt inmitten der Stadt. Das älteste Volksfest in Deutschland beinhaltet so viele Traditionen wie kaum ein anderes Fest. Klar, dass viele Familienmitglieder, Söhne, Töchter, Enkel in ihre Heimat zurückkehren, um alte Freunde wieder zu sehen. Das ist bei jeder Kirmes auch so.



Lolls hat jedoch eine andere Dimension. Rund 450.000 Menschen kommen jedes Jahr zum achttägigen Rummel in die Kleinstadt. Magischer Anziehungspunkt ist das "Fierche" (Feuer) am Marktplatz. Egal wie schmuddelig das Wetter ist, hier wärmen sich die Lullusfest-Besucher auf, die Kinder werfen voller Stolz ihre vorher gesammelten Kastanien ins Feuer. Die älteren Menschen erfreuen sich an diesem Anblick.

Das alles und viele weitere Lolls-Höhepunkte gibt es in diesem Jahr nicht. Die Feuerstelle bleibt zugeschüttet, Blumen zieren den Erdhaufen. Eine Waffelbude steht daneben, Flatterbänder grenzen den Zugang ein - wie trostlos. Feuermeister Klaus Otto wendet sich mit einer Videobotschaft an die Lollsbrüder und -schwestern. Er ist den Tränen nahe. Selbst im Zweiten Weltkrieg brannte das Fierche. Selbst Bomben konnten das nicht verhindern. Das Corona-Virus schon. Die Stadt zeigt sich rigoros, will hart durchgreifen, sollte es am Lollsmontag - dem traditionsreichen Beginn der "fünften Jahreszeit" - zu unerlaubt großen Menschenansammlungen in der Innenstadt kommen. Das passt so gar nicht zum Lollsfrieden, zum Zusammensein und zum einfach nur "Glücklichsein".

"Wilde Diskussionen"


Seit Wochen schon wird in den sozialen Medien wild diskutiert, Argumente ausgetauscht, Andersdenkende beleidigt, gehetzt und jedes "Beweismittel", dass das Corona-Virus eine Erfindung sei, geteilt. Wie es auf Facebook in der heutigen Zeit eben zugeht. Schlimm. Das bleibt auch den Verantwortlichen nicht verborgen. Leider ist es offenbar nicht möglich, dass sich alle Menschen vernünftig verhalten. Dann nämlich könnte zumindest das Fierche brennen. Jeder, der jetzt mault, sollte sich in die Situation der Verantwortlichen versetzen. Was, wenn zu viel Lockerheit einen Corona-Hotspot auslöst? Gerade das Feiern in den Kneipen rund um den Marktplatz macht das Lolls-Feeling mit aus oder das gemeinsame Fahren mit den Lollsbussen am Wochenende. Die Zahlen im Landkreis Hersfeld-Rotenburg sind bislang erfreulich niedrig. Das soll so bleiben. Deshalb ist es durchaus verständlich, dass die Veranstalter so gehandelt haben, wie sie es getan haben. Für sie gibt es vor Ort keine andere Möglichkeit.

Allerdings: Dieser bundesweite Flickenteppich an unterschiedlichen Maßnahmen schürt die Kritik. Die Stadt Frankfurt am Main wird zum Risikogebiet erklärt, und was macht der dortige Oberbürgermeister? Er eröffnet die Herbst-Kirmes. Ich frage mich: Was stimmt hier nicht? Die Hersfelder Vernunft wird mit Füßen getreten. Dort, wo die Zahlen niedrig sind, herrscht Vorsicht, dort, wo die Zahlen hoch sind, wird munter drauflos gefeiert. Das fördert keine Solidarität - im Gegenteil, die Diskussionen über Sinn und Unsinn der Corona-Maßnahmen nehmen zu.

Trotzdem: Feiert Lolls zu Hause, so gut es mit den notwendigen Abstands- und Hygieneregeln eben geht. Zeigt, dass Ihr auch in dieser schwierigen und doofen Zeit Vorbilder seid. Im nächsten Jahr rufen wir alle gemeinsam wieder "Attacke" - und zwar in Bad Hersfeld. (Hans-Hubertus Braune) +++

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