Kritische Diskussionen im Lokal
Die Sorge vor der Kälte: Virologin Prof. Sandra Ciesek über das Corona-Virus
Foto: Carina Jirsch
17.09.2020 / GELNHAUSEN - "Was passiert im Herbst und Winter?" - diese Frage beschäftigt die Fachleute im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Derzeit ist die Verbreitung der Corona-Viren zumindest in Deutschland relativ überschaubar. Vor allem schwere Verläufe und Todesfälle sind vergleichsweise gering. Auch deshalb häufen sich die kritischen Stimmen, was die politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie angehen.
Ministerin Angela Dorn machte deutlich: "Der größte Wert ist die Menschenwürde". Für die Landesregierung sei es genauso schwierig, notwendige Maßnahmen abzuwägen. Was ist notwendig, was nicht. Sie war "sehr überrascht", dass die strengen Maßnahmen während dem Lockdown so gut angenommen wurden und sich die meisten Menschen daran gehalten hätten. "Es war ein wahnsinniger Kraftakt", sagte Dorn.
Anfeindungen nach erstem Podcast
Ciesek veröffentlichte am Dienstag ihren ersten Podcast in der Reihe "Corona-Update" von NDR-Info. Abwechselnd mit dem Berliner Virologen Christian Drosten stellt sie sich den Fragen von NDR-Wissenschaftsredakteurin Korinna Hennig. Sie sei erschrocken, welchen Anfeindungen sich Drosten in den vergangenen Wochen und Monaten gegenüber sah. Auch sie habe entsprechende Kommentare bereits nach der ersten Folge erhalten und machte deutlich, dass sie abwägen werde, ob sie den Podcast weiterführe. "Ich zwinge ja keinen, den Podcast anzuhören", sagte Ciesek in Gelnhausen.
"Das Management in den Kliniken ist besser geworden"
Wie lange uns die Corona-Pandemie noch beschäftigen werde? "Ich habe keine Glaskugel", sagt Ciesek auf die entsprechende Frage aus dem Publikum. "Ich bin aber hoffnungsvoll, dass wir Impfstoffe haben werden". Die entscheidende Frage sei aber, wie wirkungsvoll diese seien. Dass mit der Zulassung eines Impfstoffes die Corona-Pandemie beendet ist - davon darf niemand ausgehen. Eine mögliche Impfpflicht lehnt die Frankfurter Virologin ab. Ciesek selbst forscht an Medikamenten. Auch hier gibt es viele gute Ansätze. Diese antiviralen Tabletten sollen beispielsweise die Verläufe abmildern.
Wie eng die medizinischen Fragestellungen und die Akzeptanz in der Bevölkerung zusammenhängen, machte der Marburger Sozialpsychologe Professor Dr. Christopher Cohrs deutlich. Die Akzeptanz in der Bevölkerung ist nach wie vor mit rund 80 Prozent hoch, das zeigen entsprechende wöchentliche Studien. Die Befragten wünschen sich teilweise sogar strengere Regeln. Transparenz und Erklärungen seien wichtige Faktoren für die Akzeptanz.
"An die Motivation rankommen"
Zu den aufkommenden Verschwörungssituationen (von "Verschwörungstheoretikern" möchte Professor Cohrs nicht sprechen) von Gruppierungen, die die Existenz des Corona-Virus verneinen, erklärte Cohrs: "Verschwörungsideen gibt es schon immer." Die sozialen Medien helfen bei der Verbreitung, es sei leichter, Gleichgesinnte zu treffen. Es entwickle sich eine Gegenbewegung gegen "die da oben". Es würden geheime, machtvolle Kräfte vermutet, welche die Fäden ziehen. Mit Fakten sei kaum beizukommen. "Sie sollten bei Menschen, die ihnen wichtig sind, versuchen, an die Motivation ran zu kommen", sagt der Sozialpsychologe.
Gelungene Veranstaltungsreihe: Stunde der Wahrheit
Leute wie die Virologin Prof. Dr. Sandra Ciesek und der Marburger Sozialpsychologe Prof. Dr. Christopher Cohrs nehmen sich die Zeit, ihre Sicht der Dinge zu erklären. Das machen sie zusätzlich. Dabei sind auch sie "nur" Menschen, haben Familien und die gleichen Herausforderungen zu meistern, wie jeder "Normale" auch. Das wurde an diesem Abend einmal mehr deutlich. Es gab kritische Fragen, die sachlich gestellt wurden. Genauso muss es sein. Denn wir alle wissen nicht, wie sich das Corona-Virus verhält, wenn es draußen kalt wird. (Hans-Hubertus Braune) +++