Serie: Kennen Sie schon?

Gerstengrund: Eine winzige Gemeinde, in der große Kriege tobten

Ein kleiner Ort mit viel Geschichte
Fotos: Miriam Rommel

10.09.2020 / REGION - Kennen Sie schon? Unsere neue Serie befasst sich mit Orten in der Region, von denen die meisten Menschen höchstwahrscheinlich noch nie gehört haben. Winzig klein oder versteckt gelegen, offenbaren sich bei genauerem Betrachten allerdings echte Perlen Osthessens und der Rhön.


Heute: Gerstengrund

Zwischen Wäldern verborgen, liegt eine der kleinsten Gemeinden Deutschlands. Obwohl Gerstengrund gerade einmal 67 Einwohner zählt, hat die Gegend rund um den idyllischen Ort eine bewegte Geschichte.

Auch wenn "Grund zu Gerstorfs" erstmals urkundlich im Jahr 1450 Erwähnung fand, war die Rhön bereits in frühgeschichtlicher Zeit von Menschen besiedelt. Auf dem Gipfel der Sachsenburg – etwa drei Kilometer nordöstlich der Ortslage- befinden sich bis heute Reste von zwei Wallburgen der Keltenzeit und des frühen Mittelalters.

Ursprünglich nur ein Hof, erfuhr Gerstengrund erst durch eine politische Entscheidung Zulauf. Der Ort unterstand damals direkt der Fürstabtei Fulda. Das ein Kilometer entfernte "Godermanns" war nur Lehen der Fürstabtei und wurde von den Herren von der Tann verwaltet. Im Jahre 1534 trat Eberhard von der Tann zur Lehre Martin Luthers über. Um den katholischen Glauben nicht aufgeben zu müssen, fassten die 25 Familien von Godermanns den Entschluss, ihre Häuser zu verlassen und auf Gebiete der Fürstabtei überzusiedeln. Sieben Familien bauten auf dem Gelände von Gerstengrund ihre Häuser neu auf. Der Hofbesitzer stellte ihnen dafür das Bauland zur Verfügung.

Fast ausgelöscht

Plünderungen, Hungersnöte und zwei Pestepidemien forderten in der Region um Gerstengrund zahlreiche Todesopfer. In den Jahren zwischen 1622 und 1637 fielen rund 860 Bürger des Pfarrsprengels Schleid dem "Schwarzen Tod" zum Opfer, bereits stark entvölkert, setzten 1637 Durchmärsche feindlicher Söldnerhaufen ein, die weitere 271 Menschenleben kosteten.

Glaubenskrieg

Ausgehend von der im Nachbarort erbauten Propstei Zella und dem neu geschaffenen Kloster Dermbach wurde seitens der Obrigkeit ab 1718 versucht, die evangelisch gewordenen Kirchengemeinden wie beispielsweise Gerstengrund zum katholischen Glauben zurückzuholen. Das führte 1741 zum Aufmarsch einer von Herzog Ernst August befehligten Armee von 1.000 Soldaten und 100 Husaren an der Grenze zu Dermbach. Dieses, als Dermbacher Krieg bezeichnete Gefecht, eskalierte, als vom Fürstabt kaiserliche Truppen zur Unterstützung angefordert wurden.

Jüngste Geschichte

Gerstengrund lag in der 5-Kilometer-Sperrzone der DDR. Für große Unruhe unter der Bevölkerung sorgten im Juni 1952 Gerüchte über eine vorbereitete Deportation. Unter dem Namen "Aktion Ungeziefer" wurden in diesem Jahr Menschen, die als politisch unzuverlässig eingestuft worden waren, von der Regierung ins Landesinnere zwangsumgesiedelt. Weil am Bahnhof in Kaltennordheim plötzlich ungewöhnlich viele Güterwagen eintrafen, flüchteten zahlreiche Familien in Panik über die noch offene Grenze nach Hessen.

Heute: Ein Ort der Rekorde

Gerstengrund gehört zu den 100 kleinsten Gemeinden Deutschlands. Absolute Spitzenreiter sind die Einwohner jedoch regelmäßig bei Wahlen. Die Bestimmung des neuen Gemeinderates etwa lockte 50 von 51 Stimmberechtigten an die Urnen, bei der Thüringer Landtagswahl 2009 erzielte die Gemeinde sogar zwei Rekorde: Zum einen wurde die höchste Wahlbeteiligung aller Gemeinden in Thüringen gemessen, außerdem erzielte hier die CDU landesweit mit 95,5 Prozent ihr bestes Ergebnis. (Miriam Rommel) +++

 

 



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