"Herr Lübcke, Zeit zum Auswandern!"
Falsches Geständnis für Geld? - Dritter Prozesstag gegen Lübcke-Mörder
Fotos: Jan Huebner/Pool/O|N
30.06.2020 / FRANKFURT/M. - Seit Dienstagvormittag verhandelt das Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) das dritte Mal den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der am 2. Juni 2019 in seinem Haus in Wolfhagen-Istha durch einen Kopfschuss getötet worden war. Zunächst wurde über die vielen offenen Anträge befunden, die die beiden Verteidiger des Angeklagten Stephan Ernst gleich am ersten Prozesstag gestellt hatten. Auch gegen den Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel wurden mehrere Befangenheitsanträge gestellt - unter anderem, weil er den beiden Angeklagten am ersten Prozesstag dringend geraten hatte, ein frühzeitiges und von Reue getragenes Geständnis abzulegen."Hören Sie nicht auf Ihre Anwälte, sondern hören Sie auf mich", hatte Sagebiel Stephan Ernst und Markus H. empfohlen. Darin sahen die Verteidiger einen Versuch, einen Keil zwischen sie und ihre Mandanten zu treiben. Diese Befangenheitsanträge wurden jetzt abgelehnt.
Nachdem am zweiten Verhandlungstag das vierstündige Geständnis der Tat von Stephan Ernst im Gericht gezeigt wurde, ist am Dienstag der Videomitschnitt der späteren richterlichen Vernehmung zu sehen, in dem Stephan Ernst das ursprüngliche Geständnis wieder zurücknimmt und stattdessen den wegen Beihilfe zum Mord angeklagten Markus H. belastet. Ernsts Verteidiger wollten die Vorführung des ersten Vernehmungsvideos vor Gericht verhindern, weil dieser dabei unter Schlafmangel gelitten habe und ein Schmerzmittel genommen habe. Über seine Anwälte ließ Stephan Ernst jetzt mitteilen, sich zu einem späteren Zeitpunkt - vermutlich erst nach der Sommerpause - vor Gericht zu den Tatvorwürfen ausführlich äußern zu wollen.
Stephan Ernst erklärt in dem Video auch, warum er die Tat zunächst auf sich genommen und gestanden habe. Dazu sei er von seinem damaligen Anwalt überredet worden. Als Gegenleistung für diese Aussage sollte seine Familie finanziell versorgt werden, erklärte er sein ursprüngliches Geständnis.
Der unter großem Interesse der Medien stattfindende Prozess am OLG Frankfurt/Main wird am kommenden Freitag, den 3. Juli fortgesetzt. Es sind weitere 30 Verhandlungstage bis Ende Oktober angesetzt.(Carla Ihle-Becker)+++