Entwicklung von Corona-Strategien
Dr. Al-Hami im Interview: "Enorme wirtschaftliche Belastung"
Foto: Hendrik Urbin
06.05.2020 / FULDA -
Die Corona-Pandemie stellt auch Kliniken vor große Herausforderungen. Neurochirurg Dr. Samir Al-Hami vom Fuldaer Neuro-Spine-Center geht im O|N-Interview auf die aktuelle Situation des Plankrankenhauses ein, das seit Montag wieder reguläre Operationen durchführt.
Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat die Corona-Krise auf das Neuro-Spine-Center?
Die Tatsache, dass wir nicht wussten, ob wir auch weiterhin Intensivbetten freihalten müssen oder nicht, war eine große Unsicherheit für uns. Leider haben wir vom verantwortlichen Versorgungsstab erst sehr spät die Antwort erhalten, dass wir für die Intensiv-Versorgung nicht gebraucht werden. Aus diesem Grund waren wir die erste Zeit nur damit beschäftigt, Betten aufzurüsten und unser Personal entsprechend zu schulen.
Was muss sich ändern?
AL-HAMI: "Leider wurde bisher nur anhand der Bewertung von Virologen und Epidemiologen durch die Corona-Krise geführt. Das halte ich für einen Fehler. Wir sind alle glücklich, dass eine Katastrophe bisher abgewandt werden konnte. Die Entwicklungen sind sehr positiv. Allerdings ist ein großer wirtschaftlicher und sozialer Schaden entstanden, obwohl einige Maßnahmen und Entscheidungen nach ca. drei bis vier Wochen hätten korrigiert werden können. Viele Auswirkungen werden sich erst in den nächsten Monaten abzeichnen. Wir werden sehen, wie die Wirtschaft damit zurechtkommt.
Konzentriert wird sich auf aktuelle Zahlen und positive Corona-Fälle. Allerdings gibt es auch viele Virulenzfaktoren, die widerspiegelen, wie sich u.a. ein Krankheitserreger in einer bestimmten Region vermehrt. Dieser ist bei der Bewertung durch Wissenschaftler und die Politik zu kurz gekommen. Seit über zwei Wochen schwächt die Virulenz sich ab, was zu den jetzigen Zahlen führt. Es gibt weniger Neuinfektionen und Stand gestern (05.05.2020) befinden sich in allen osthessischen Krankenhäusern nur drei Corona-Patienten in Behandlung.
Was kommt auf die Patienten des NSC zu?
Nach wie vor sind wir eine Non-Covid-Klinik geblieben. Das wollen wir auch bleiben. Aus diesem Grund statten wir u.a. alle Patienten mit einem Mund-Nasen-Schutz sowie Handschuhen aus. Um Menschenansammlungen in Klinikräumen zu verhindern, wird der Patient ohne Umweg von unserem Personal zum Doktor gebracht. Gewartet wird vor dem NSC. Und auch weiterhin gilt ein striktes Besucherverbot. Um den in der Regel zweitägigen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten, versuchen wir unsere Patienten in Suiten unterzubringen und stellen u.a. unser 10 GB-WLAN kostenfrei zur Verfügung.
Zusätzlich wurden alle Mitarbeiter untersucht. Aktuell ist niemand mit dem Covid 19-Virus infiziert. Ein Mitarbeiter hat Antikörper aufgezeigt. Das heißt, von unserem Personal geht keine Gefahr aus. Das betrifft auch die Patienten: Bereits seit zehn Jahren werden diese vor geplanten Operationen auf den Krankenhauserreger MRSA via Screening untersucht. Ab sofort folgt auch eine Testung auf Sars-CoV-2 sowie Antikörper. Die Kosten werden von der Klinik getragen. Zum Schutz aller muss trotzdem ein Mundschutz getragen werden."
Wie stehen Sie zu dem geplanten Corona-Bonus für Klinikpersonal?
AL-HAMI: "Ich halte davon gar nichts. Es handelt sich dabei lediglich um einen Bonus, der das schlechte Gewissen überdecken soll. Wenn man es mit diesen Berufen wirklich ernst meint, dann muss sich die Situation grundsätzlich verbessern. Auch die Bedeutung und Anerkennung dieser Berufe in der Gesellschaft muss besser werden. Egal ob das Pflegepersonal, die Arzthelferin oder der Arzt: Sie alle wissen auch in der Krise, was es bedeutet, ihren Job zu machen. Das kann man nicht mit einer Bonus-Zahlung abgelten. Lieber sollte der Personalschlüssel in Krankenhäusern verbessert, die Belastung reduziert und die Lebensqualität der Mitarbeiter verbessert werden. Im NSC wurde zum Beispiel im letzten Jahr eine 35-Stunden und Vier-Tage-Woche als Wertschätzung der Mitarbeiter eingeführt. Aus diesem Grund halte ich den Bonus für unproduktiv und nicht sinnvoll, da die Misere so nur weitergeht." (jul) +++