Filmdreharbeiten im Jahr 1978
Aktueller denn je: Corona weckt Erinnerungen an "Die Hamburger Krankheit"
Fuldas spektakulärer Auftritt im Film "Die Hamburger Krankheit": Eine ganze Armada von Rettungswagen donnert durch das Paulustor.
Fotos: Stadtarchiv Fulda / Hubert Weber
04.05.2020 / FULDA -
Die Corona-Krise weckt Erinnerungen an die Dreharbeiten zum Kinofilm „Die Hamburger Krankheit“ in Fulda im Jahr 1978. Zum Inhalt: In Hamburg bricht eine todbringende Seuche aus. Die Hansestadt wird abgeriegelt, und auf der Flucht irrt ein kleiner Trupp von Menschen quer durch die Bundesrepublik. Dabei wird Fulda zum Sammelbecken der Fluchtbewegung. Und mit dem Schluss der Seuche, die so plötzlich erlischt, wie sie aufgetaucht ist, endet die „Die Hamburger Krankheit“ in Süddeutschland.
Der damals 41 Jahre alte Regisseur Peter Fleischmann fand die Barockstadt als Zwischenstation der Odyssee aus mehreren Gründen als sehr geeignet, wie er seinerzeit in einem Interview erklärte. „Mir gefällt das ausgewogene Gemisch aus Alt und Neu, denn ich will keineswegs in einer hässlichen Stadt drehen. Beste Voraussetzungen zum Filmen bieten auch die unebenen Straßen.“ (Fulda war 1978 eben noch lange nicht so schick gepflastert wie heute.) Sehr froh war Peter Fleischmann „über die gute Aufnahme in der Stadt und die reibungslose Zusammenarbeit mit den Behörden und mit der Verwaltung“.
Spektakulärer hätte der „Auftritt“ Fuldas in etwa der Mitte des surrealen Science Fictions gar nicht beginnen können: Eine ganze Armada von Krankenwagen rast mit Blaulicht und Martinshorn durch das Paulustor und an einem Warnschild vorbei mit der Aufschrift: „Seuchengebiet. Vorsicht Ansteckungsgefahr!“ Im Hintergrund die noch nicht renovierte Stadtpfarrkirche. Es folgen beklemmende Szenen der Anarchie.
Aus Corona-Sicht erinnern die Züge der Leichentransporter durch die Fuldaer Unterstadt an New York, wo derzeit Massengräber ausgehoben werden müssen. Heute gibt es Hamsterkäufe um Toilettenpapier und Nudeln, im Film Plünderungen und Demonstranten, die wütend „Wir wollen Wasser!“ skandieren. Und auch wenn damals wie heute die Menschen mit Schutzmasken herumlaufen: An einen Sicherheitsabstand hat Regisseur Fleischmann bei den Dreharbeiten zur "Hamburger Krankheit" noch nicht gedacht – bei den Massenszenen zumindest stehen alle dicht bei dicht.
Halb Fulda war damals als Statisten eine Woche lang mit Begeisterung dabei, und Regisseur Fleischmann lobte die „Spielfreudigkeit der Bürger“. Die andere Hälfte guckte als Zaungäste den Filmleuten über die Schultern. Vor Ort waren aus dem prominenten Schauspieler-Stab Rainer Langhans (ehemals „Kommune 1“), die blutjunge Carline Seiser sowie Thilo Prückner, dem heutigen Publikum bekannt aus der ARD-Serie „Rentner-Cops“.
Aber auch drei Eigengewächse aus dem Fuldaer Land, die im Kolpinghaus gecastet wurden, hatten Sprechrollen. Anneliese Ramm aus Fulda und Josef Witzel aus Hünfeld-Rückers gaben ein prächtiges Metzger-Ehepaar ab, das von den Hamburger Flüchtlingen einen ziemlich ramponierten Wohnwagen in Empfang nahm. Und der Fuldaer Theatermacher Winfried H. Witzel hielt als Bürgermeister eine Trauerrede auf der Freitreppe des Kanzlerpalais am Platz Unterm Heilig Kreuz: „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ist tot. Er soll wie so viele der geheimnisvollen Krankheit erlegen sein ...“
In seinen Memoiren erinnert sich Winfried H. Witzel lebhaft an seinen Dreh: „Am 8. August, es war ein eiskalter, regnerischer Sonntag, die Temperaturen waren auf 12 Grad gefallen, war meine Szene dran. Nach den Dreharbeiten stand ich mit Thilo Prückner neben der Treppe zum Kanzlerpalais, als ein ziemlich abgerissener Mann mit einem uralten Fahrrad auf mich zukam und sagte: ,Sie sind doch der Bürgermeister!‘ Als ich lächelnd bejahte, meinte er: ,Ach, wissen Sie, ich bin auf der Durchreise und heute ist das Sozialamt geschlossen. Könnten Sie vielleicht dafür sorgen ...‘ Ich konnte ihn leider nur an die Feuerwehr verweisen, die neben der Stadtpfarrkirche für die mitwirkende und völlig verfrorene Bevölkerung eine Erbsensuppe ausschenkte.“
„Die Hamburger Krankheit“ wurde 2019 in einer restaurierten Fassung noch einmal veröffentlicht und auf Initiative der Kinder-Akademie hin auch im Fuldaer CineStar gezeigt, wo sich Regisseur Fleischmann, Schauspielerin Carline Seiser und der damalige Standfotograf Günter Zint den Fragen des Publikums stellten. Trotz Prämierung durch die Deutsche Film- und Medienbewertung als „wertvoll“ beim Kinostart 1979 wurde der Film von Fachpresse und Publikum sehr kontrovers diskutiert. Unstrittig aber ist, dass Fleischmann damals seiner Zeit weit voraus war, denn die Botschaft des Films ist heute aktueller denn je: „Wir wollten zeigen, dass sich Menschen in Ausnahmesituationen wieder näherkommen. Die Krankheit bewegt und bewirkt etwas.“ (Matthias Witzel) +++