"Darwinistischer Verdrängungswettbewerb"

Gesundheitsversorgung am Limit: Schwere Zeiten fürs Klinikum

Schreibt rote Zahlen: der Klinikums-Konzern Hersfeld-Rotenburg.
Fotos: Klinikum Hersfeld-Rotenburg

15.12.2019 / BAD HERSFELD - Wie lange kann die bewährte wohnortnahe Gesundheitsversorgung noch aufrechterhalten werden? Diese Frage beschäftigt zurzeit alle Verantwortlichen im Gesundheitssystem. Freilich auch die Chefetage des Klinikums Hersfeld-Rotenburg: Die beiden Geschäftsführer Martin Ködding und Dr. Tobias Hermann sowie Pflegedirektor Michael Gottbehüt sprechen Klartext.



Während Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in rasantem Tempo eine Gesetzesvorlage nach der anderen erlasse, stünden die Verantwortlichen in den Leistungserbringern vor Ort, den Krankenhäusern, vor kaum lösbaren Aufgaben. „Aufgrund fehlender Pflege- und anderer Fachkräfte müssen in den Krankenhäusern die Behandlungskapazitäten zurückgefahren werden, da hilft auch das Versprechen von Jens Spahn nicht, dass alle Pflegekräfte bezahlt werden. Es gibt nichts, was zu bezahlen ist, denn der Markt an Fachkräften ist leergefegt“, sagt der medizinische Geschäftsführer Dr. Tobias Hermann.

Hinzu komme, dass im Herbst und Winter nicht nur mehr Patienten die Häuser aufsuchten, sondern auch die Krankheitsrate der Beschäftigten steige. „Die Belastbarkeit der Mitarbeiter hat ein kritisches Niveau erreicht und es droht ein weiterer schmerzlicher Verlust an Fachkräften, denn das System ist krank und nicht die Mitarbeiter“, meint Dr. Hermann.

„Dabei war es das postulierte Ziel der Bundespolitik, die Versorgungsqualität - insbesondere in den pflegeintensiven Bereichen - anzuheben. Jetzt müssen wir, um die Untergrenzen einzuhalten, unter Umständen sogar die Versorgung in anderen Bereichen einschränken“, ergänzt Klinikums-Geschäftsführer Martin Ködding.

Die Unternehmensleitung des Klinikums geht von mindestens 20.000 Pflegenden aus, die aktuell am regulären Arbeitsmarkt fehlen. Und dies sei nicht das Ende der Spirale: für 2020 sei die Ausweitung der Gesetze auf weitere Bereiche des Krankenhauses bereits beschlossen; 2021 sollen alle Stationen unter diese Personalregelung fallen. „Das ist für viele Krankenhäuser, insbesondere in der Notfallversorgung, eine unlösbare Aufgabe, die wir ohne massive und vor allem schnelle Unterstützung der Landes- und Bundespolitik nicht bewältigen können“, erörtert Martin Ködding.

Auf die Attraktivität der Pflegeberufe würde sich die Personaluntergrenzen ebenfalls negativ auswirken. Kliniken müssten die Personalbesetzung auf den Stationen jetzt tagesaktuell nach den Patientenzahlen steuern. „Starre Personaluntergrenzen sind nicht das geeignete Instrument, den tatsächlichen Pflegebedarf angemessen zu berücksichtigen. Was bislang fehlt, sind realistische und kurzfristig umsetzbare Konzepte“, sagt Pflegedirektor Michael Gottbehüt.

„Ein darwinistischer Verdrängungswettbewerb mit dem Ziel, Krankenhäuser zu schließen, wird am Ende auf dem Rücken der Patienten und Mitarbeiter ausgetragen“, gibt Dr. Hermann zu bedenken. „Wenn wir Fachabteilungen nach deren wirtschaftlicher Bedeutung bewerten müssen, kann das in einem Sozialstaat nicht unser Anspruch sein.“

Die Landespolitik müsse ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen. Es sei gesetzlich geregelt, dass die notwendigen Investitionskosten in Krankenhäusern vollständig durch die Länder finanziert werden müssten. „Realität ist aber, dass Kliniken Kredite aufnehmen müssen, um dem rasanten Fortschritt in Bau, IT und Medizintechnik Rechnung zu tragen. Die Eigentümer, wie Landkreise oder Städte, müssen einspringen, um das Dringlichste zu ermöglichen“, moniert Martin Ködding

Die Klinikums-Doppelspitze ist sich einig: „Um das Schlimmste zu vermeiden und handlungsfähig zu bleiben, stellen wir im Moment jede Entscheidung auf den Prüfstand. Als Management sind wir gefordert, alle Optionen gemeinsam mit unserem Träger, dem Landkreis Hersfeld-Rotenburg, neu zu bewerten und Entscheidungen zu treffen, die eine zukunftsfähige Versorgung für die Patienten und Mitarbeiter ermöglichen.“ Eine gute Gesundheitsversorgung müsse auch für eine ländliche Region möglich sein. (pm) +++

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