Wo soll der Strom herkommen?
Diskussion um Windräder: Naturschützer und Bürgerinitiative nehmen Stellung
Archivfotos: O|N
14.12.2019 / HÜNFELD - Die Energiewende und damit der Bau von Windkraftanlagen ist weiter in der Diskussion. Der Arbeitskreis Fulda/Rhön der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) bezieht sich in einer Stellungnahme auf Aussagen des Regierungspräsidenten Hermann-Josef Klüber in einem Artikel der Fuldaer Zeitung.
Der neue Regierungspräsident in Kassel habe demnach öffentlich seine Absicht verkündet, in Osthessen mehr Windräder errichten lassen zu wollen. Wer mehr Klimaschutz und in 30 Jahren kein Kohlendioxid (CO2) mehr produzieren wolle, der müsse auch den weiteren Bau von Windkraftanlagen akzeptieren. Als Standorte wären gerade auch Wälder geeignet, weil sie zumeist weitab von Ortschaften gelegen seien. Wer Windräder ablehne, solle sagen, wo der Strom der Zukunft herkommen soll.
Diese Aussagen seien aus Sicht der HGON energiefachlich völlig unzureichend. Die Fehleinschätzung beginne damit, dass es gar nicht möglich sei, den CO2-Ausstoß auf Null zu reduzieren, weil dieses Gas ein fester, lebensnotwendiger Teil des Kohlenstoff-Kreislaufs der Erde sei. Seit Jahrmillionen werde es von den Pflanzen aus der Atmosphäre und dem Wasser aufgenommen, zu lebender Substanz aufgebaut und von den Pflanzen und Tieren im Zuge ihres Stoffwechsels wieder ausgeschieden.
Derzeit produzierten über 30.000 Windräder 20 Prozent des Stroms, so die HGON. Doch Strom mache nur 20 Prozent des Gesamtenergiebedarfs aus. 20 Prozent von 20 Prozent seien aber nur vier Prozent. Dieser unwesentliche Beitrag würde noch weiter absinken, wenn der Straßenverkehr elektrifiziert würde. "Wir würden dann in Deutschland über zwei Millionen Windräder benötigen, um den Energiebedarf über Windstrom zu decken. Das wäre rund das 50-Fache des gegenwärtigen Bestandes", rechnet die HGON vor.
Mit zwei Millionen Windrädern wäre Deutschland ökologisch weitgehend zerstört. Der Lebensraum für Mensch und Tier wäre entwertet, der landschaftliche Reiz und der Tourismus vernichtet. Somit sei die weitgehende Ausrichtung auf Windstrom unsinnig und unvertretbar, ein ideologisches Produkt undurchdachter Hinterhof-Ökologie. Sie zerstöre, ohne ausreichend zu liefern.
Alternativen der regenerativen Energieversorgung gäbe es durchaus. Natürlich könne ein kleines, dicht besiedeltes Land mit höchstem technischen Standard energetisch nicht autark sein. Bei den Nahrungsmitteln könne es das ja auch nicht nachhaltig sein. "Wir brauchen die Energie von dort, wo sie im Überfluss vorhanden ist. Durch Nutzungsverträge mit den jeweiligen Ländern wäre dieses machbar, zum Vorteil beider Seiten. Vor allem in der Sahara verglühen täglich ungeheure Mengen Sonnenenergie ungenutzt im Sand. Diese Wüste ist 30 Mal so groß wie Deutschland und zum größten Teil fast unbewohnt von Mensch und Tier", schreibt der Arbeitskreis.
Dort könne mit diversen technischen Verfahren Energie für ganz Europa gewonnen werden; teils als Strom, teils als energiereiche Stoffe, die mit dem Sonnenstrom herzustellen wären (und direkt vertankt werden könnten, ohne Batterien und Ladezeiten). Hier ist nicht der Platz, alle regenerativen und ökologisch unbedenklichen Energieformen aufzuzeigen. Es gäbe sie sogar bei der Kernenergie, denn nicht alle Kernspaltungsprozesse enden beim hochgefährlichen Plutonium. Hier wäre noch sinnvoll zu forschen, aber dies wurde in diesem Land aus ideologischer Verengung schon vor langer Zeit beendet, schreibt der Arbeitskreis weiter.
Wenn der Regierungspräsident schließlich meine, das Problem der Windräder reduziere sich auf die Störung von Menschen, so irre er auch hier. Die Störungen seien schlimm genug, aber bei Weitem nicht alles. Die Mittelgebirgswälder seien die letzten ruhigen Rückzugsräume für Erholungsuchende und empfindliche Tierarten. Fragen der Biodiversität und Arterhaltung seien nicht belanglos, sondern überlebenswichtig. Sie seien ein hohes Kulturgut. Die Erhaltung ökologisch intakter Wälder müsse in Deutschland höchste Priorität erhalten.
Wenn Menschen gegen Windparks in Wäldern klagten, dann handelten sie laut dem Arbeitskreis rechtmäßig. Es gäbe andere wichtige Werte und Rechtsgüter in diesem Lande, die zu beachten seien; wie zum Beispiel die Erhaltung der Artenvielfalt, der Erholungsräume der Menschen, der landschaftlichen Schönheit oder der Gesundheit. "Ein Regierungspräsident, der das nicht sieht,... solle belehren lassen von Bundesländern, in denen Windparks in Wäldern nicht zugelassen seien, heißt es in der Stellungnahme abschließend.
Stellungnahme von Siegfried Bug, Sprecher der Bürgerinitiative Dammersbach:
Der Regierungspräsident fordere mehr Windräder im Kreis Fulda zu errichten. Er halte Wald als Standort für geeignet. Zudem frage er nach Alternativen: "Wer Windräder kritisiert, muss sagen, wo der Strom in Zukunft herkommen soll". Klüber scheine es nicht klar zu sein, dass nur ein Energiemix aus Solarenergie, Wasserkraft, Bioenergie, Geothermie und Windenergie zur alternativen Energieversorgung in Osthessen, Deutschland und weltweit beitragen könne. Die Installation von Windkraftanlagen im Wald, dem gefährdetsten heimischen Ökosystem, sei in einer Zeit der menschengemachten Veränderung des globalen Naturhaushaltes (Klimawandel) und der Zerstörung der Lebensvielfalt (Biodiversitätsverlust) unverantwortlich.
"Dem Erhalt der Funktionstüchtigkeit unseres Waldes ist daher auch besonders beim derzeitigen Zustand der osthessischen Wälder, höchste Priorität einzuräumen. Im Zeitungsbericht (21.11.19, S.5) kommt der Waldzustandsbericht zu dem Ergebnis, dass es dem hessischen Wald noch nie so schlecht ging. Die Hessische Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Priska Hinz (Grüne), kündigte umfangreiche Maßnahmen der Landesregierung für den Waldschutz an: So sollen bis 2023 insgesamt 200 Millionen Euro für Waldschutzmaßnahmen vom Land Hessen zur Verfügung gestellt werden", schreibt der Sprecher der Bürgerinitiative.
Weiter heißt es: "Diese Fakten sollten einem Regierungspräsidenten in seinem Amtsbezirk nicht nur bekannt sein, er sollte die Sorgen seiner Landesregierung, der Forstverwaltung und der betroffenen Bürger – das sind wir alle – persönlich und in seiner Amtsausübung ernst nehmen. Windkraftanlagen dürfen nur dort errichtet werden, wo dies ohne Schaden für Menschen und Natur möglich ist. Daher positionieren wir uns aus ökologischen Gründen gegen Windkraft im Wald und fordern, die Privilegierung der Windenergie im Baugesetzbuch aufzuheben", heißt es in der Pressemitteilung abschließend. (pm) +++