Veranstaltungsreihe "Die Stunde der Wahrheit"

Künstler als Seismographen: Was bewegt die Menschen?

Am Dienstagabend fand die Veranstaltungsreihe "Die Stunde der Wahrheit" im Lokal "Heimat" statt. Thema des Abends: "Ist das Kunst oder kann das weg?". Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn (links) und documenta Professorin Dr. Nora Sternfeld führten rege Diskussionen über Kunst.
Fotos: Carina Jirsch

04.12.2019 / FULDA - Im Fuldaer Lokal "Heimat" am Buttermarkt fand am Dienstagabend bei gemütlichem Beisammensein die Veranstaltungsreihe "Die Stunde der Wahrheit" statt. Das Thema der dritten Veranstaltung lautete: "Ist das Kunst oder kann das weg?". Die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn und documenta-Professorin Dr. Nora Sternfeld von der Kunsthochschule Kassel waren zu Gast. Durch den Abend führte NDR-Moderator Tim Berendonk. Ziel ist es, mit den Bürgern am Stammtisch ins Gespräch zu kommen und lebhafte Diskussionen zu führen.


Angela Dorn hat die besondere Reihe ins Leben gerufen. Sie stellte sich vor die Frage, was ihre Aufgaben als Ministerin für Wissenschaft und Kunst seien: "Wie passen die beiden Pole zusammen?" So kam sie auf die Idee, an verschiedenen Orten einen direkten Austausch zwischen Wissenschaftlern und Kulturinteressierten zu ermöglichen. "Am Ende sollen alle hier aus dem wissenschaftlichen Diskurs herausgehen und feststellen: Ich kann bei dem Thema mitreden."

Die Wienerin Dr. Nora Sternfeld stand als Expertin in der Runde zur Verfügung. Sie begegne bildender Kunst, wenn sie mit Menschen darüber redet. Deshalb habe sie sich für den Bereich Kunst und Vermittlung entschieden. Darüber hinaus ist sie documenta-Professorin. Seit 1955 gibt es die großen Ausstellungen im Fünf-Jahrestakt in Kassel.

Im Vordergrund der Diskussionen standen Kunstwerke, die auf den ersten Blick nicht als solche gewertet werden. Viele der präsentieren Werke erwecken den Eindruck von Müll. Der Moderator testete das Publikum und stellte drei unterschiedliche Werke ohne Titel vor, um ein Gefühl für den Kunstbegriff zu bekommen. Dies mündete in die Fragestellung: "Was ist letztendlich Kunst?" Die Wahrnehmung eines jeden Einzelnen wich dabei stark ab. Die Anwesenden sind sich einig gewesen: Der Kunstbegriff ist kein einfacher und schwierig zu definieren. Dr. Sternfeld führte weiter aus: "Wir werden keine befriedigende Definition finden, aber es besteht der Wunsch, es herauszufinden." Dorn ergänzt: "Vieles was wir wahrnehmen, kann in zehn Jahren anders sein. Kunst ist dann, wenn es wahrgenommen wird. Es gibt keine Kriterien."

Berendonk thematisierte danach die Problematik von "Kunst aus Müll", für manche Exponate werden demnach Unsummen an Geld verlangt. Dabei verbirgt sich hinter einigen Kunstwerken eine klare Intension wie in "Venere degli stracci" von Michelangelo Pistoletto aus dem Jahr 1967. Zu sehen ist die Skulptur einer Venus, die von Altkleidern umgeben ist. Berendonk wirft diesbezüglich die Frage in den Raum: "Ist Müll das neue Gold?" Dr. Sternfeld sieht dahinter einen tieferen Sinn. Schon in den 1960er Jahren beschäftigte man sich mit der Massenproduktion. Auch die Venus könne hinterfragt werden: "Ist es eine alte Venus? Ist die Venus nicht selbst zum Massenartikel geworden?"

Der italienische Konzeptkünstler Piero Manzoni hingegen kreierte ein aufsehenerregendes Werk mit dem Titel "Merda D'artista" im Jahr 1961. Er füllte jeweils 30 Gramm seiner eigenen Fäkalien in 90 limitierte Dosen und verschloss diese geruchsfest. Für sein Projekt verlangte er ordentliche Preise. Er habe geschickt Vermarktungsstrategien umgesetzt und sich mit dem Kapitalismus auseinandergesetzt. "Ist Kunst das, was eine Akademie für richtig hält? Hier wird der Alltag zur Kunst gemacht", erklärt Dr. Sternfeld.

Das nächste Beispiel entnahm der Moderator aus der documenta 2013, die mit "Mülldocumenta" betitelt wurde. Lara Favaretto stellte Schrottteile aus einer Mülldeponie in den Mittelpunkt. An dieser Stelle werde das Thema der Wegwerfgesellschaft und des Wachstumswahns aufgegriffen. Dazu die Expertin: "Was heißt es, wenn Müll immer mehr wird? Dies ist ein Thema der Zukunft. Es gilt über den eigenen Alltag nachzudenken." Die Ministerin für Wissenschaft und Kunst fügte hinzu, dass Künstler wie Seismographen seien, sie fassen auf, was die Menschen bewegt, was vor sich gehen würde. Es gebe einen Grund wieso Kunstwerke unter Beschuss stehen würden: "Kunst ist nicht nur schön, es muss sich auch innerlich was bewegen. Nicht alle wollen, dass zum Nachdenken angeregt wird." (Maria Franco) +++

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