Bad Hersfeld liest ein Buch 2019

Autor Eugen Ruge adelt die Abschlussveranstaltung - DDR hat sich erledigt

Die Literaturaktion lebt von den Lesepaten. Iris Plass Geißler, Wulf König und Bärbel König (von links) gehören dazu. Rechts im Bild Heinrich Stiebing.
Fotos: Gudrun Schmidl

29.11.2019 / BAD HERSFELD - Eigentlich wollte Eugen Ruge aus seinem acht Jahre alten Erstling „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ gar nicht mehr lesen. „Wenn aber eine Stadt ein Buch liest, sich Menschen mit meinem Buch intensiver beschäftigen, als das normalerweise üblich ist, mache ich natürlich gerne eine Ausnahme“, betont der Autor, der die Abschlussveranstaltung der diesjährigen Literaturaktion „Bad Hersfeld liest ein Buch“ mit seinem Besuch adelte.

Eine voll besetzte Stadthalle am Donnerstag zeugt von dem großen Interesse an der Literaturaktion, die in den letzten Wochen insgesamt 1.700 Literaturfreunde als „Mitmacher“ oder Zuhörer bei vielen interessanten Begegnungen in bekannten, aber auch neuen Veranstaltungsorten aktiviert hat. „Ein voller Erfolg“ freut sich Bürgermeister Thomas Fehling, der ausdrücklich den Jurymitgliedern Günther Exner, Karl Schönholtz, Christel Zimmermann und dem Initiator und Jury-Vorsitzendem Dr. Thomas Handke für die zeitaufwendige und tiefgründige Auswahl des jeweiligen Buches dankt.

Mit dem Geständnis, dass die DDR für ihn als Jugendlicher ein fremdes Land war, von dem er nicht viel wusste, verband Thomas Fehling einen interessanten Rückblick auf die Grenzöffnung, die „Teil der Weltgeschichte geworden ist“, die Zeit der Wende und die politischen Entscheidungen, von denen die Ostbürger überrumpelt wurden. Das facettenreiche Programm eröffnete der Chor der Modell- und Gesamtschule Obersberg unter der Leitung von Ulli Meiß mit passend ausgewählten Liedbeiträgen wie „Die Gedanken sind frei“ und „Freiheit“. Helgo Hahn ist dafür bekannt, dass er seine musikalischen Beiträge thematisch auf die jeweilige Veranstaltung abstimmt. Das ist ihm mit der „Hymne der DDR“, „Die Partei hat immer Recht“, „Pack die Badehose ein“ als Persiflage und das DDR-Kinderlied „Höre Kind vom Schwabenland“ bestens gelungen.  



Längst sind die Hersfelder Schulen „tragende Säulen“ der Literaturaktion. In diesem Jahr haben sich Schülerinnen Schüler der 9. Klassen des Gymnasialzweiges der Gesamtschule Obersberg beteiligt. Schülerinnen und Schüler aus mehreren Jahrgängen der Gesamtschule Geistal präsentierten an diesem Abend einen bemerkenswerten, eigens produzierten Film zum Thema „Alltag im Grenzgebiet“ mit Gesprächspartnern, die zur Lüge erzogen wurden, einer Zeitzeugin und Gästeführerin auf dem Grenzstützpunkt Point Alpha und einem Mann, der „im größten Gefängnis der Welt“ leben musste.  

Journalistin Kristina Marth moderierte die Veranstaltung  professionell und entlockte dem Autor Eugen Ruge bei zwei Gesprächsrunden spannende Details aus seinem Leben und zu seinem Buch, in dem er die ostdeutsche Geschichte in einem Familienroman wiederspiegelt. Es gelingt ihm, die Erfahrungen von vier Generationen über fünfzig Jahre hinweg in einer dramaturgisch raffinierten Komposition zu bändigen. Sein Buch erzählt von der Utopie des Sozialismus, dem Preis, den sie dem Einzelnen abverlangt und ihrem allmählichen Verlöschen.

Er beschreibt ihre Kämpfe um ein bisschen Glück und schildert familiäre Zwistigkeiten vor dem Hintergrund der wechselvollen politischen Ereignisse von 1952 bis 2001. Zugleich zeichnet sich sein Roman durch große Unterhaltsamkeit und einen starken Sinn für Komik aus. Bestens unterhalten fühlten sich an diesem Abend die Besucher von dem charismatischen Autor, der „nicht der Typ für offizielle Veranstaltungen ist“, das Verhältnis von Ossis und Wessis jenseits aller Kritik für unproblematisch hält. „Geschichte lässt sich nicht abschütteln. Es ist wichtig, sich gegenseitig in der Unterschiedlichkeit zu respektieren“. Für seine Äußerung „Man muss der bleiben, der man ist“, bekam er viel Applaus.

Ruge, der 1988 in den Westen abgehauen ist, weil er ein schwieriges Verhältnis zur damaligen DDR hatte, hat nach einer gewissen Zeit und Distanz in seinem Buch die DDR nicht verurteilt, aber auch nicht in Schutz genommen. „Auch wenn alles grauer war, wurde in der DDR ein volles Leben gelebt“, betont er. Dennoch: Dass die DDR weg ist, kann ich beim besten Willen nicht bedauern“. Das Publikum lauschte gebannt seiner Lesung, nach der sich der Autor für das Interesse an seinem Buch und die großartige Veranstaltung, die ihn sehr ehrt, bedankte. (Gudrun Schmidl) +++

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