Die Partei hat immer recht
Lesung im Bürgerhaus Heenes über die Generationen einer Familie
Foto: Uwe Hohmann
17.11.2019 / BAD HERSFELD -
Die Aktion „Bad Hersfeld liest ein Buch“ fand zum 6. Mal im Bürgerhaus Heenes statt. Dieses Jahr war von der Literatur-Expertengruppe der Stadt Bad Hersfeld und dem Magistrat das Buch „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von Eugen Ruge ausgewählt worden. Dieser Titel bezieht sich eigentlich auf den Frühherbst, die Zeit der Kartoffelernte (im Ural), meint aber die verblassende Strahlkraft der kommunistischen Utopie, die durch Gewaltherrschaft ihre Glaubwürdigkeit verliert. Der Leitgedanke der Lesung in Heenes bewegte sich über alle Höhen und Abgründe einer Familie in der DDR. Moderator Uwe Hohmann und die Lesepaten Martina Völker, Renate Hohmann, Christof Coninx und Wilfried Sandlos führten hinein in die Großfamilie mit dem dementen Patriarchen Wilhelm, Sohn Kurt, dessen Frau Irina und Enkel Alexander.
Eugen Ruge liebt in seinem Roman chronologische Sprünge und Änderungen des gedanklichen Bezugssystem mit häufigem Perspektivwechsel. Dabei verwebt er geschickt DDR-Geschichte mit exemplarischen Momentaufnahmen einer Familie. Der Roman schildert das verzweifelte Ringen der jeweils jüngeren Familienangehörigen um ein anderes, besseres Lebensmodell. Eugen Ruge verwebt in seiner (auch) autobiografischen Tragik-Komödie das Leben von etwa 15 Personen. Um Verständnis-Schwierigkeiten zu mildern, beschränkten sich die Lesepaten auf vier handelnde Personen.
Auch Stiefsohn Kurt pflegt trotz langjähriger sowjetischer Lagerhaft und Verbannung das Gedankengut der kommunistischen Partei. Während dieser Zeit heiratet er die Russin Irina, eine ehemalige Sanitäterin bei der Roten Armee. Irina will die Seele der Großfamilie sein, scheitert aber an den vielen internen Zwistigkeiten.
Überraschend dann die angekündigte Verbindung zwischen dem Innenleben eines Partei-Soldaten (Wilhelm) und einer Weihnachts-Gans. Traditionell bereitet Irina den Braten vor, hierin zeigt sich ihre menschliche und soziale Kompetenz. Im Jahr 1976 überbrücken wunderlicher Tauschhandel und Kochkünste die Mangelwirtschaft.
Im Jahr 1991 – also im vereinten Deutschland – gibt es alle Zutaten im Supermarkt. Mit dem Vorschlag, Fertigknödel zu verwenden, fühlt sich Irina gedemütigt. Sie kann dieses Gericht nicht mehr wie früher zubereiten und erkennt, dass die mit ihrer Familie gelebte Zeit in der DDR unwiderruflich vorbei ist.
Nach kurzem Innehalten und Dank an die Akteure sowie die zahlreichen Helfer schloss ein bewegender Abend. (pm) +++