Die Partei hat immer recht

Lesung im Bürgerhaus Heenes über die Generationen einer Familie

Leser und Musiker in Heenes (v.l.n.r.): Renate Hohmann, Christof Conninx, Martina Völker, das Mitglied der Literatur-Expertengruppe Christel Zimmermann, Renate Bennedik, Jürgen Nothbaum, Wilfried Sandlos, Uwe Hohmann
Foto: Uwe Hohmann

17.11.2019 / BAD HERSFELD - Die Aktion „Bad Hersfeld liest ein Buch“ fand zum 6. Mal im Bürgerhaus Heenes statt. Dieses Jahr war von der Literatur-Expertengruppe der Stadt Bad Hersfeld und dem Magistrat das Buch „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von Eugen Ruge ausgewählt worden. Dieser Titel bezieht sich eigentlich auf den Frühherbst, die Zeit der Kartoffelernte (im Ural), meint aber die verblassende Strahlkraft der kommunistischen Utopie, die durch Gewaltherrschaft ihre Glaubwürdigkeit verliert. Der Leitgedanke der Lesung in Heenes bewegte sich über alle Höhen und Abgründe einer Familie in der DDR. Moderator Uwe Hohmann und die Lesepaten Martina Völker, Renate Hohmann, Christof Coninx und Wilfried Sandlos führten hinein in die Großfamilie mit dem dementen Patriarchen Wilhelm, Sohn Kurt, dessen Frau Irina und Enkel Alexander.



Über 80 Zuhörerinnen und Zuhörer wurden auf dieser Lebensreise durch einfühlsame Musik von Renate Bennedik am e-Piano (mit kenntnisreichen Erklärungen) und Jürgen Nothbaum mit Oboe und Mandoline begleitet. Russische Volkslieder, die Lobeshymne „Die Partei hat immer recht“, eine Arie aus Händels „Rinaldo“ und „Wind of Change“ ließen die Betroffenheit im Saal spüren. Trotz der geschilderten Unterschiede zu einem Leben in der DDR waren viele Parallelen zur eigenen Lebenswelt zu entdecken. Lesung und Musik „ließen wohl viele Seelen tanzen“.

Eugen Ruge liebt in seinem Roman chronologische Sprünge und Änderungen des gedanklichen Bezugssystem mit häufigem Perspektivwechsel. Dabei verwebt er geschickt DDR-Geschichte mit exemplarischen Momentaufnahmen einer Familie. Der Roman schildert das verzweifelte Ringen der jeweils jüngeren Familienangehörigen um ein anderes, besseres Lebensmodell. Eugen Ruge verwebt in seiner (auch) autobiografischen Tragik-Komödie das Leben von etwa 15 Personen. Um Verständnis-Schwierigkeiten zu mildern, beschränkten sich die Lesepaten auf vier handelnde Personen.

Zum einen auf den Patriarchen der Familie, Wilhelm: Er feiert am 1. Oktober 1989 seinen 90. Geburtstag. Im Roman widmet Eugen Ruge diesem Ereignis sechs verschiedene Episoden und Blickwinkel. Wilhelm ist dement, aber im Nebel seiner Gedanken stellt er weiterhin die Partei über die Familie.

Auch Stiefsohn Kurt pflegt trotz langjähriger sowjetischer Lagerhaft und Verbannung das Gedankengut der kommunistischen Partei. Während dieser Zeit heiratet er die Russin Irina, eine ehemalige Sanitäterin bei der Roten Armee. Irina will die Seele der Großfamilie sein, scheitert aber an den vielen internen Zwistigkeiten.

Alexander, den Sohn von Kurt und Irina, begleiteten Lesung und Musik in chronologischer Folge von seiner Kinderzeit und Jugendzeit an: Beat-Musik, Wehrdienst und Leben am Prenzlauer Berg in Berlin.

Überraschend dann die angekündigte Verbindung zwischen dem Innenleben eines Partei-Soldaten (Wilhelm) und einer Weihnachts-Gans. Traditionell bereitet Irina den Braten vor, hierin zeigt sich ihre menschliche und soziale Kompetenz. Im Jahr 1976 überbrücken wunderlicher Tauschhandel und Kochkünste die Mangelwirtschaft.

Im Jahr 1991 – also im vereinten Deutschland – gibt es alle Zutaten im Supermarkt. Mit dem Vorschlag, Fertigknödel zu verwenden, fühlt sich Irina gedemütigt. Sie kann dieses Gericht nicht mehr wie früher zubereiten und erkennt, dass die mit ihrer Familie gelebte Zeit in der DDR unwiderruflich vorbei ist.

Nach kurzem Innehalten und Dank an die Akteure sowie die zahlreichen Helfer schloss ein bewegender Abend. (pm) +++

Zahlreiche Interessierte kamen zusammen

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