Engelbert Strauß-Urgestein Günter Borde
Von Oma Linas Abendbrot, Tankstellen & dem Wandel zum "Familien-Konzern"
Fotos: Julius Böhm
22.08.2019 / BIEBERGEMÜND -
Das Leiter-Regal an der Wand und der Lampenschirm aus Schaufeln an der Decke symbolisieren: Hier wird etwas g'schafft. Mit Sneakern, Chino-Hose und einem lässigen Longsleeve sitzt Günter Borde im Besprechungsraum auf dem Engelbert Strauß-Campus in Biebergemünd. "Beim Kunden trage ich aber immer Anzug", sagt er, "das hat in meinen Augen etwas mit Respekt und Wertschätzung zu tun."
Wie ein Firmen-Oldie sieht der 63-Jährige nicht aus, doch er ist es: ein Original aus der Zeit, als der Arbeitskleidungs-Riese aus dem Main-Kinzig-Kreis noch Bürsten und Schrubber verkaufte, 15 Mitarbeiter hatte, die halbe Belegschaft den Nachnamen Strauß trug und Oma Lina, die Frau von Gründer Engelbert Strauß, Abendbrot vorbeibrachte, wenn es mal länger wurde. Seit 1985, also seit 34 Jahren, ist Borde im Betrieb.
Heute beschäftigt Engelbert Strauß 1.300 Mitarbeiter und setzt jedes Jahr einen hohen dreistelligen Millionenbetrag, hauptsächlich mit Arbeitsbekleidung, um. Günter Borde war auf diesem Weg ein wichtiger Baustein, er kümmert sich seit jeher um Großkunden, durfte bei den Fotos für die ersten Kataloge aber noch als Model einspringen. Doch obwohl er sogar aus Kassel kommt, wo lange Zeit der Sitz des Unternehmens war, war es ein Zufall, der ihn zu Engelbert Strauß brachte.
Schicksalhafte Tankstellen
Vom Dorfbetrieb zum "Familien-Konzern"
Arbeitskleidung ist damals mehr Beiwerk, das die Käufer von Bürsten und Schrubbern zusätzlich nachfragen. Bis Norbert Strauß eines Tages die entscheidende Frage in die Runde wirft: "Warum muss Arbeitskleidung eigentlich so hässlich sein?" Design und Produktion werden von nun an selbst in die Hand genommen, der Beginn einer bis heute andauernden Erfolgsgeschichte.
Vom Drei-Mann-Betrieb bis zum Großkonzern - Borde hat sie alle beliefert: "Unsere Produkte haben sich wie von alleine verkauft. Ich war meistens gern gesehen, wenn ich auf den Hof gefahren bin. Da sind echte Freundschaften entstanden." Wie zum Beispiel zu einer Dachdeckerfamilie in Neuss, die den zehnköpfigen Betrieb bereits in der vierten Generation führt. "Da bin ich dann nicht mehr geschäftlich hingefahren, viel mehr privat und habe mit der Familie zu Abend gegessen."
Vertrauen, Gestaltungsspielraum, persönliche Beziehung zum Kunden - Borde beschreibt eine Arbeitsromantik, die man in der Unternehmensleitung von Engelbert Strauß trotz des großes Wachstums mit aller Macht konservieren möchte. Der Campus in Biebergemünd mit mehreren gastronomischen Angeboten, Entspannungs- und Rückzugs- und Kommunikationsbereichen ist da nur das, was nach außen hin sichtbar ist.
In Workshops mit den Mitarbeitern wurden über halbes Jahr hinweg Grundwerte, darunter Begeisterung, Wertschätzung und Pioniergeist, festgelegt und regelmäßig kommuniziert. "Das ist wichtig, um gute Leute für uns zu gewinnen und auch an uns binden zu können. Wir müssen Highlights bieten", so Borde, der in die Zukunft blickt, obwohl er im kommenden Jahr in Rente gehen wird. Er ist überzeugt: "Ich glaube, Henning und Steffen (Strauß, die heutigen Geschäftsführer; Anm.d.Red.) haben das Persönlichkeitsbild ihres Vaters übernommen. Die langen Abende mit Essen von Oma Lina leben so auf andere Art und Weise fort."
Natürlich sei auch Engelbert Strauß mit inzwischen 1.300 Mitarbeitern organisierter und damit in der Entscheidungsfindung auch langsamer geworden. "Wir wollen perfekte Produkte und das erfordert viel Vorleistung und Recherche und somit Zeit - und doch ist es im Kleinen noch immer erwünscht, Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen und Ideen in die Tat umzusetzen. Ich behaupte: Uns ist die Transformation gelungen."
Radfahren und Zeit mit der Familie, eben Dinge, die im Berufsleben etwas zu kurz gekommen sind, will Günter Borde nach seinem Ausscheiden machen. Er sagt: "Es ist sicher schön, sich dann nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren zu müssen, so viel Freude sie mir auch bereitet hat." Aber eines ist klar: Ganz aus dem Unternehmen verschwinden wird der Strauß-Oldie wohl nie. (Julius Böhm) +++