Spannende Eindrücke
FSJ in Georgien: Rabea Lindemann (19) lebt und arbeitet in Weingut-Community
Fotos: Axel Häsler
26.07.2019 / EBERSBURG/GREMI -
Die 19-jährige Rabea Lindemann aus Ebersburg/Schmalnau im Landkreis Fulda macht zur Zeit eine spannende Erfahrung: sie absolviert ein freiwilliges soziales Jahr weit weg von Zuhause. Vor einem Jahr, im Mai 2018 hat sie ihr Abitur an der Rabanus-Maurus-Schule (Domgymnasium) in Fulda absolviert. Im August begann sie dann ihr FSJ in Georgien. Auf die Frage, warum sie ein soziales freiwilliges Jahr mache, sagt sie: „Ich sehe das Jahr als eine Chance, eine mir bisher fremde Kultur und Sprache und damit auch neue Lebens-, Arbeits- sowie Denkweisen kennenzulernen. Ich möchte meinen Horizont erweitern, indem ich nicht nur die mir unbekannte Mentalität hinterfrage, sondern eben auch meine eigenen Ansichten und Handlungsweisen. Zudem finde ich es sehr spannend neue Menschen kennen und verstehen zu lernen. Außerdem kann ich mich und meine Fähigkeiten hier austesten.“
An der georgischen Weinroute findet man zahlreiche Weingüter. Eines davon ist das Weingut der TEMI-Community in dem kleinen Dorf Gremi, 20 Kilometer nordöstlich der Provinzhauptstadt Telavi. Doch die Besonderheit von Temi ist, dass es sich hier nicht um ein reines Weingut handelt. Die TEMI-Community ist ein Gemeinschafts- und Sozialunternehmen, auf dessen landwirtschaftlichem Anwesen 70 Menschen zusammen leben und arbeiten. Einige von ihnen haben geistige oder körperliche Behinderungen. Andere sind psychisch krank, waren obdachlos oder kamen mit dem Leben in ihrer Umgebung nicht zurecht.
Auch im Weintourismus haben die Freiwilligen jeden Schritt der Weinproduktion mitgemacht. Im Spätsommer haben sie auf den Weinfeldern bei der Weinlese mitgearbeitet. In den darauf folgenden Wochen haben sie beim Befüllen der Kvevris geholfen. Das ganze Jahr über sind sie damit beschäftigt, den fertigen Wein in Flaschen abzufüllen, zu verkorken und die Weinflaschen per Hand zu etikettieren, um sie dann im eigenen Laden an Touristen zu verkaufen. Ebenfalls bieten die Freiwilligen Führungen für Interessierte Besucher auf Englisch, Deutsch oder Russisch und Degustationen an.
In wenigen Tagen endet das Freiwilligenjahr für Rabea Lindemann in Georgien. Nun ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, was ihr an dem Land im Kaukasus gefallen hat und womit sie persönlich nicht so einverstanden war: „Das Erste, was mich begeisterte, war die georgische Musik und der Gesang, den ich wunderschön finde. Ob auf Autofahrten, im Restaurant oder auf von uns Freiwilligen besuchten Weinmessen, überall wurde gesungen und häufig kannten die umherstehenden Leute die gleichen Lieder und stimmten mit ein. Ebenfalls begeistert mich die sehr abwechslungsreiche Landschaft. Die Bergregionen sind im Sommer wie im Winter wunderschön mit den hohen meist bewaldeten Bergen und den vielen Tier- und Pflanzenarten. Die Landschaft ändert sich drastisch innerhalb weniger Kilometer und jede hat ihren eigenen einzigartigen und bezaubernden Charme. Außerdem gefällt mir die Hilfsbereitschaft und Offenheit der Georgier Fremden gegenüber. Wenn man nach dem Weg fragt, bekommt man im Allgemeinen nicht nur eine Antwort, sondern oft sogar eine Einladung zum Essen mit der Familie. Außerdem wird man, sei es beim Minibus fahren oder beim Essen kaufen am Straßenstand, häufig in Gespräche verwickelt, die nicht selten sehr unerwartete Wendungen nehmen (spontaner gemeinsamer Besuch eines Weinfestivals oder sehr reflektierte Gespräche über die georgische Politik und Gesellschaft).
Gastfreundschaft wird hier sehr groß geschrieben und viele der Menschen begegnen einem mit Herzlichkeit. Was ich kritisch hinterfrage, ist der Umgang mit physisch und psychisch beeinträchtigten Menschen sowie der Stellenwert der Frau und das Rollenbild von Männern und Frauen in der georgischen Gesellschaft. Beides ist meiner Meinung nach so, wie es bei uns in Deutschland vor noch nicht allzu vielen Jahren war und ich empfinde es als veraltet. Daher fällt es mir in manchen Situationen schwer, den Traditionen im Wissen, dass dabei Frauen diskriminiert werden, zu folgen. Weiterhin sieht man hier viel häufiger die Nationalflagge in der Öffentlichkeit, als dies in Deutschland der Fall ist. Genannte, mir sehr auffallenden Punkte sind aufgrund der Geschichte Georgiens nur allzu gut verständlich, trotzdem fallen sie mir etwas negativ auf. Und zwar nicht in dem Sinne, dass der Patriotismus hier super stark ausgeprägt wäre, sondern einfach, weil ich es aus Deutschland in dieser Form nicht gewohnt bin und mir Patriotismus aufgrund der deutschen Geschichte ein etwas mulmiges Gefühl im Bauch gibt“, so Rabea Lindemann abschließend. (Axel Häsler)+++